Der letzte Werwolf
unverdiente, doch hochgeschätzte Ehre. – Das Musizieren lehrte mich die Frau Mama. Am Cembalo konnte sich mein Spiel mit ihrer Hände Kunst niemals messen, indes war mir die Violine vom Anbeginne Herzenssache, und was man liebt zu tun, das muss gelingen.“
„Dann spielst du auch Klavier?“
„Er spielt sogar sehr gut“, beantwortete Phil Isoldes Frage, ehe Dorian noch mehr Verwirrung stiften konnte.
Bis das Klingeln des Pizzaboten seinen Vortrag unterbrach, gab Dorian auf den Wunsch seiner Gastgeberin noch eine Probe am Flügel, die sie geradezu in Verzückung geraten ließ.
Als sie wenig später beim Essen saßen, war die Großmutter noch immer in so heller Begeisterung über Dorians musikalisches Können, dass ihr entging, mit welcher Skepsis der Junge seine Pizza beäugte. Nachdem er abgewartet hatte, was die anderen mit dem fremdartigen Fladen unternahmen, tat er es ihnen nach. Seine Miene erhellte sich. Valentina folgerte erleichtert, dass es ihm wohl schmeckte.
„Deine Mutter muss ja hochmusikalisch sein, wenn sie deine Lehrerin ist“, bemerkte Isolde bewundernd.
Dorian sah mit umschleierten Augen von seinem Teller hoch. „Die liebe Frau Mama ist mir dahingeschieden.“
„Du lieber Himmel!“, sagte Isolde erschrocken. „Das tut mir aber leid, dann lebst du wohl bei deinem Vater?“
Valentina und Phil sahen sich Hilfe suchend an. Einer von ihnen musste jetzt eingreifen. Dorian wollte eben ansetzen, als Phil herausplatzte: „Er ist Vollwaise, er lebt in einem Heim.“
Die alte Dame legte das Besteck aus der Hand. „Das ist ja schrecklich! Der Junge gehört für seine weitere Ausbildung auf eine gute Schule. Es ist völlig indiskutabel, dass ein derartiges Talent nicht angemessen gefördert wird. So ein paar Wochen EU-Austauschprogramm genügen da nicht. Der Junge braucht ein Stipendium!“
„Hochverehrte, liebe Madame, mein größter Wunsch war stets gewesen, das Conservatorio Santa Maria di Loreto zu Neapel zu besuchen, um es bei Maestro Fiorenza im Violinenspiel zur Vollkommenheit zu bringen. Doch war es mir vom Schicksal nicht beschieden.“
Isolde stutzte, sie sah Dorian für einen Moment misstrauisch an, dann zwinkerte sie ihm zu. „Mein Lieber, du hast es ja faustdick hinter den Ohren! – Nicola Fiorenza ! Aber du hast schon recht, Nicola Fiorenza war ein großer Geigenvirtuose, dummerweise im achtzehnten Jahrhundert. Ich hab allerdings mal gelesen, dass er kein sehr großer Meister der Pädagogik gewesen sein soll. Er wusste mit dem Geigenstock ebenso gut zu schlagen wie zu spielen – sei also froh, dass er vor fast zweihundertfünfzig Jahren gestorben ist.“
Während Dorian über Isoldes Bemerkung nachzugrübeln schien, sagte die alte Dame: „Bald steht wieder die Entscheidung an, wer eines der begehrten Treuenstein-Stipendien bekommen soll. Gleich morgen früh rufe ich meinen alten Freund und ehemaligen Chef, Professor Lauterbach, an. Du musst ihm unbedingt vorspielen. Und glaub mir, wer einen guten Abschluss der Amalia-von-Treuenstein-Schule vorzeigen kann, dem stehen alle Türen offen.“ Voller Tatendrang sprang sie auf und holte Schreibzeug. „Ich brauche deinen vollen Namen.“
Mit einem verwunderten Blick auf den Kugelschreiber versuchte Dorian, Isoldes Bitte nachzukommen, was ihm jedoch nicht gelang. Mit einem beiläufigen Handgriff brachte Phil die Mine zum Vorschein. „Welch wundersam Ding …“, murmelte Dorian und schrieb in kühn geschwungener Schrift: Dorian Alexejewitsch Wolkonov.
Isolde setzte ihre Brille auf, als er ihr den Zettel hinschob. „Was für ein wunderbares Schriftbild! Da sollten wir uns mal was abschauen von den französischen Schulen.“ Plötzlich stutzte sie und blickte Dorian über den Brillenrand an. „Dein Name hat allerdings gar nichts Französisches. Kommt deine Familie aus Russland?“
„Gib mir doch bitte mal das Wasser!“ Damit lenkte Phil den Jungen von der Frage ab, in der Hoffnung, seiner Schwester würde etwas einfallen.
Tatsächlich reagierte Valentina rasch. „Bei uns sind doch auch viele Russen eingewandert.“
„Das stimmt.“ Die alte Dame nickte. „Migration gibt es überall und hat es schon immer gegeben. Und – warte mal … 1917 nach der Oktoberrevolution sind eine Menge russische Exilanten nach Frankreich ausgewandert.“
Damit hatte sich das Thema für sie offenbar erledigt, denn sie sah sich suchend um. „Wo ist eigentlich Herr Bozzi?“
Valentina deutete unter den Tisch, wo der kleine
Weitere Kostenlose Bücher