Der letzte Werwolf
Mischling lammfromm zu Dorians Füßen lag.
Besorgt beugte sich Isolde zu ihm hinunter. „Was ist los? Phil hat Schinken auf dem Teller und Herr Bozzi bettelt nicht …“
Dorian lächelte. „Verehrte, liebe Madame, mit Verlaub, indes steht es dem Tiere durchaus nicht zu, von des Menschen Teller zu speisen.“
Isolde nickte verunsichert. „Das sag ich ja auch immer, aber …“ Kopfschüttelnd stand sie auf. „Valentina und ich gehen rasch mit Herrn Bozzi raus. Wäre nett, wenn ihr beiden Jungs die Küche inzwischen aufräumt – viel ist es ja heute nicht. Und wenn wir zurück sind, soll Dorian uns noch etwas vorspielen, damit ich mir einen weiteren Eindruck verschaffen kann.“
Dorian räusperte sich. „Verzeihen Sie Ihrem untertänigsten Diener und legen Sie es ihm nicht zum Nachteile aus, wenn er Ihrem Geheiße nicht zu folgen vermag. Indes gestattet es ihm sein Stand durchaus nicht, Verrichtungen, die allein den Domestiken vorbehalten sind, mit eigener Hand zu verüben. Ihrem freundlichen Wunsche, Sie, hochverehrte Madame, mit seinem bescheidenen Spiele zu unterhalten, kommt er gleichwohl mit großer Freude nach.“
Isolde warf ihm einen verblüfften Blick zu, dann drohte sie mit dem Zeigefinger. „Du bist mir vielleicht ein Scherzkeks! – Domestiken …!“ Ihre säuberlich gemalten Augenbrauen hoben sich. „Und mit deinem Deutschlehrer muss ich mal ein ernstes Wörtchen reden. Gute Umgangsformen sind was Schönes, aber man kann's auch übertreiben.“ Verwundert vor sich hinmurmelnd verließ sie die Küche.
„Der Junge ist ganz schön verquer“, sagte sie wenig später zu Valentina, als sie darauf warteten, dass Herr Bozzi sein Geschäftchen verrichtete. „Aber“, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, während sich ihre Enkelin schon den Kopf zermarterte, was sie auf weitere Fragen über Dorian erzählen sollte, „ich habe in meinem Leben schon viele Musiker kennengelernt. Und die wirklich großen – die wirklich großen, die sind oft … wie soll man sagen? Nun, die haben oft so ihre Macken.“
„Schumann“, warf Valentina ein, um von Dorian abzulenken.
„Robert Schuman ist ein gutes Beispiel für Genie und Wahnsinn. An den dachte ich auch gerade. Erst neulich hab ich mich mit Karl über ihn unterhalten, er meinte, man könne an Schumanns Musik deutlich erkennen, dass er manisch-depressiv war. – Diese typischen überraschenden Wechsel.“ Valentina hatte sofort Isoldes alten Jugendfreund, der Nervenarzt geworden war, vor sich, mit seinem hageren bärtigen Gesicht und dem Röntgenblick, mit dem er einen musterte, als sei man ein Fall für seine Praxis.
„Beethoven hatte schwere Depressionen“, fuhr Isolde fort, um ihre These zu bekräftigen. „Und Mozart war auch nicht ganz normal. – Ich meine, unterschreibt ein normaler Mensch einen Brief mit Herzlichst Ihr Süssmaier Scheißdreck!“
Valentina lachte. „Himmel, dann ist es ja direkt gefährlich, Musik zu machen.“
Isolde legte schmunzelnd den Arm um sie. „Keine Sorge, in unserer Familie gibt es weder Genies noch Wahnsinnige. – Aber euer neuer Freund hat, soweit ich das beurteilen kann, durchaus das Zeug zum Genie, ansonsten ist er wohl einfach nur ein bisschen sonderbar. – In seiner altmodischen Art aber durchaus liebenswert. – Und …“ Sie lächelte Valentina verschmitzt an. „Ich finde, er ist ein sehr gut aussehender junger Mann, etwas blass vielleicht, aber er hat etwas. Ja, er hat etwas Vornehmes. Und diese himmelblauen Augen! Also wenn ich jünger wäre …“
Valentina errötete, was ihrer Großmutter, wie sie sicher wusste, nicht entging, auch wenn sie rücksichtsvoll genug war, keine Bemerkung darüber zu machen.
Als die beiden von dem Hundespaziergang zurückkamen, war die Spülmaschine eingeräumt und der Tisch abgewischt.
„Hat er mitgeholfen?“, raunte Valentina ihrem Bruder zu.
Phil schüttelte grinsend den Kopf. „Der hochwohlgeborene Herr Graf beliebten derweilen in den Noten zu blättern.“
An diesem Abend gab Dorian noch einige Kostproben seines Könnens, wobei er mit einem schwierigen Stück von Bach am Flügel begann.
„Wunderbar!“ Isolde klatschte hingerissen. „So hab ich die Triolen noch nie gehört. Sehr reizvoll. – Bravo!“ Dorian erhob sich und verneigte sich formvollendet.
„Und nun noch mal zur Geige“, sagte die alte Dame. „Hast du den Hummelflug im Repertoire? Es wäre das Musterstück für ein Vorspiel.“
Mit einem bedauernden Blick griff
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