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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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wie uns dieses Wolfsgehege nicht einfach mal an? Und bei dieser Gelegenheit sieht Dorian gleich etwas von unserer schönen Gegend.“
    Kaum eine halbe Stunde später trafen sie sich bei Isoldes altem Golf. Phil hatte Dorian vorher noch beiseite genommen und ihn gebeten, sich mit Bemerkungen zurückzuhalten, die darauf schließen ließen, dass er eigentlich einem anderen Jahrhundert angehörte. Es reichte schon, dass er sich so antiquiert ausdrückte. Isolde in die unglaublichen Ereignisse einzuweihen, da waren sich Valentina und er einig, hieße, sie davon zu überzeugen, dass keiner von ihnen Wahnvorstellungen hatte. Und wie sie ihre resolute Großmutter kannten, würde das nicht ohne einen Besuch in der Praxis ihres Freundes Karl abgehen. Er sah sich schon auf der Couch des alten Psychiaters liegen.
    „Verehrter Freund, es liegt mir fern“, hatte Dorian geantwortet, „die hochachtbare grand-mère zu confundieren {4} .“
    Als es jedoch daran ging, in den Wagen einzusteigen, zögerte er.
    Isolde, die schon am Steuer saß, beugte sich zu der offenen Beifahrertür. „Willst du nicht mit?“
    In unverhohlenem Widerstreben setzte sich Dorian neben sie.
    „Ist was?“ Isolde ließ den Motor an.
    Dorian fuhr zusammen. „Mit Verlaub, es kommt mir recht befremdlich vor, dass ein Weib am Ruder eines solchen Automaten sitzet.“
    Isolde schüttelte den Kopf und lachte. „Mit Verlaub, mein Lieber, und du bist ein ganz schön komischer Kauz!“ Sie drehte sich zu Valentina um und zwinkerte. „Genie und Wahnsinn – da ist auf jeden Fall was dran.“
    Dorians ohnehin bleiches Gesicht wurde aschfahl, als sich der Wagen in Bewegung setzte. Die ganze Fahrt über klammerte er sich an dem Gurt fest, den Valentina ihm übergezogen hatte, und wagte es kaum, aus dem Fenster zu sehen. Während die anderen sich unterhielten, schwieg er, was die Geschwister darauf zurückführten, dass ihm womöglich das ungewohnte Tempo zu schaffen machte.
    Wer mehr erlöst war, als der Wagen endlich hielt, Herr Bozzi oder Dorian, hätte Valentina nicht sagen können. Der kleine Hund drängelte sich fröhlich kläffend als Erster aus dem Auto. Dorian hingegen stieg mit weichen Knien aus und hielt sich für einen Moment am Wagendach fest. „Ist dir übel?“, fragte sie besorgt.
    Dorian blickte sie matt an. „Wohlan, nur eine kleine Unpässlichkeit.“
    „Tief durchatmen“, sagte Isolde. „Die gute Waldluft wird dich gleich wieder auf die Füße stellen. Warum hast du nicht gleich gesagt, dass du das Autofahren nicht verträgst?“
    Herr Bozzi raste im Zickzack, die Nase dicht am Boden, hin und her.
    „Hierher“, rief Isolde und zeigte auf ein Schild, das anwies, Hunde an die Leine zu nehmen.
    Aber der Hund dachte gar nicht daran, ihrem Befehl zu folgen.
    „Na so was“, spottete Phil. „Herr Bozzi kann nicht lesen.“
    „Hier.“ Die alte Dame drückte ihm die Leine in die Hand. „Viel Vergnügen!“
    Valentina warf Dorian einen bittenden Blick zu.
    „Au pied!“ {5} , sagte der Junge ruhig.
    Herr Bozzi stoppte und spitzte die Ohren.
    „Assis!“ {6}
    Unterwürfig mit dem Schwanz wedelnd trottete der kleine Hund auf Dorian zu, legte sich neben ihn und ließ sich von Phil widerstandslos anleinen.
    „Du heiliger Strohsack!“ Isolde öffnete ungläubig den Mund.
    Valentina zuckte mit den Schultern. „Er gehorcht Dorian aufs Wort. Es ist magisch.“
    Die Wegweiser führten sie binnen einer halben Stunde zu einem eingezäunten Gehege, vor dem ein Schaukasten auf Informationshungrige wartete. Während seine Großmutter die Brille aufsetzte und zu lesen begann, spähte Phil durch den Maschendraht. „Seht ihr einen?“
    Valentina schüttelte den Kopf. Gespannt beobachtete sie Herrn Bozzi, er würde seine Artverwandten sicher als Erster bemerken. Aber der Hund schnupperte nur gelangweilt an einem Pfosten.
    „Sie schreiben, dass man sie tagsüber nicht immer zu Gesicht kriegt“, sagte Isolde enttäuscht. „Schade, aber vielleicht haben wir ja trotzdem Glück. Lasst uns ein Stück am Zaun entlanggehen. Das Gelände muss riesig sein.“
    Trotz des warmen Junitags fröstelte Valentina. Schwarze Nadelbäume sperrten mit feindselig verschränkten Zweigen die Sonne aus, Dickicht verkratzte ihr die Arme, es roch nach Harz und feuchtem Moos. Ein unbehagliches Gefühl kroch in ihr hoch, eine Ahnung davon, wie sich die Menschen zu Zeiten gefühlt haben mussten, als noch wilde Wölfe durch die Wälder streiften. Ihre Neugier darauf, einen in

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