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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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dem, was die Menschen jahrhundertelang geglaubt hatten?
    Es war nicht eben beruhigend, was da über Werwölfe stand. Ein Bund mit dem Teufel oder eine Verwünschung konnte bewirken, dass man zu einem Werwolf wurde. Dabei gab es solche, die sich böswillig und aus reiner Mordlust verwandelten, und andere, die aus einem Zwang heraus nicht anders konnten. Sie dachte, dass Dorians Vater, Graf Wolkonov, zu den Letzteren gehörte, die aufgrund eines unglücklichen Erbes in Vollmondnächten dem Blutrausch verfielen. Mit Frösteln las sie, dass es nicht nur Hexenprozesse gegeben hatte, sondern auch, wenngleich in geringerer Zahl, Werwolfprozesse, die fast immer mit einer Hinrichtung endeten. Bis ins neunzehnte Jahrhundert musste der Werwolfglaube in den Vorstellungen der Menschen fest verankert gewesen sein, in ganz Europa, vor allem aber in Russland und Rumänien, wo es sogar heute noch Leute geben sollte, die von der Existenz solcher Wolfsmenschen überzeugt waren. Was Valentina aber am meisten interessierte, war, mit welchen Mitteln man diesen Bestien beikommen konnte. Und da schienen es vor allem Silberwaffen zu sein, die ein Werwolf zu fürchten hatte. Geweihtes und Erbsilber, das schon lange im Familienbesitz war, eigneten sich anscheinend besonders. Sie erfuhr von Fällen, da man einen Werwolf mit Kugeln aus eingeschmolzenem Familiensilber erlegt hatte. Wurde ein Werwolf mit einer Silberwaffe verletzt, heilte diese Wunde nie mehr, selbst wenn er seine menschliche Gestalt wieder erlangte.
    „Mannomann!“ – Mit einem Stöhnen legte sie die Blätter weg und lehnte sich ins Sofa zurück.
    Es war total verrückt, aber ihr Verstand schien mit einem Wissen zu kollidieren, das nicht vom Kopf herrührte, sondern aus der dunkelsten Höhle ihres Unterbewusstseins. Schaudernd ging ihr auf, dass sie seit Tagen selbst inmitten eines Gruselmärchens steckte. Was sie glaubte oder nicht, änderte nichts an den Tatsachen. Dorian war definitiv eine Tatsache, eine Tatsache, die zudem ausgezeichnet Geige spielte.
    Sie spitzte die Ohren. Das war nie im Leben Phil! Die Klänge, die aus der Diele ins Wohnzimmer schwebten, krochen ihr unter die Haut, so zu spielen brachte ihr Bruder beim besten Willen nicht fertig. Ja, dieser blonde Junge mit dem seltsamen Benehmen war zwar auf eine ungewöhnliche Art real, aber real war er! Und selbst der wahnwitzige Umstand, dass er von einem Marmorhund zu einem weißen Wolf mutiert war, ehe ihn das Morgenlicht in einen Menschen zurückverwandelt hatte, änderte daran nichts.
    „Und? Was sagst du?“ Phil, der ins Wohnzimmer trat, deutete auf die Ausdrucke.
    „Puh!“ Valentina verdrehte die Augen. „Wenn es nicht so abgefahren wär, würde ich vorschlagen, wir sollten uns mit Isoldes Silberbesteck bewaffnen.“
    Ihr Bruder ließ sich säuerlich grinsend in einen Sessel fallen. „Das ist leider nicht massiv, nur versilbert.“
    „Ich bitte untertänigst um Unterrichtung.“ Dorian war hereingekommen, Herr Bozzi auf dem Fuße. Er setzte sich nach einer kleinen Verbeugung neben Valentina aufs Sofa und sah sie erwartungsvoll an.
    Nachdem sie ihm erzählt hatte, was sie über Werwölfe in Erfahrung gebracht hatte, stöhnte Phil auf. „Leute, ist das nicht alles Irrsinn?“ Er wedelte mit der Hand vor der Stirn, als wolle er Nebel von einer Glasscheibe entfernen. „Als ich das vorhin gelesen hab, dachte ich, wer das glaubt, hat doch voll einen Sprung in der Schüssel!“
    Dorian blickte ihn verwirrt an.
    „Phil meint, dass man verrückt sein muss, um an diese Werwolfsache zu glauben“, sagte Valentina.
    „Werter Freund“, wandte sich Dorian an Phil, „mit Wahnsinn kann man nicht erklären, was ganz unstreitig Faktum ist. Als Knabe weilte ich recht gerne in der Küche, es fiel so mancher Leckerbissen ab, indes was mich noch mehr vergnügte, war der Schwatz der Küchendirnen. Sie wussten viel von Spuk und Geistern. Die Frau Mama wollte es gar nicht leiden, dass solche scheußliche Begebenheiten an mein kindliches Ohr drangen. Sie schalt, wenn sie den Sohn am Herd gewahrte. Doch kann ich mich recht gut an eine Mär entsinnen, die die Köchin oftmals zum Besten gab. Sie war ein Weib von stattliche Natur und heiteren Blutes, doch allemal zitterte sie wie Espenlaub im Winde, und ihre sonst so kecken Mägde wurden bleich wie Linnen.“ Dorian verschränkte die Finger und blickte, in Bilder seiner Kindheit versunken, an die Wand.
    Phil räusperte sich.
    Der blonde Junge zuckte zusammen. „Wohlan –

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