Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
Vom Netzwerk:
Dorian nach der Violine. „Verehrte Madame, ich bedauere zutiefst, Ihrem musikalischen Wunsche nicht entsprechen zu können, indes ist mir das Stücklein nicht geläufig.“
    Isolde runzelte die Stirn. „Du kennst Rimski-Korsakow nicht, den bekannten russischen Komponisten aus dem neunzehnten Jahrhundert?“
    Bevor Dorian darauf antworten konnte, schaltete Phil sich ein. „Was möchtest du denn vorspielen, Dorian?“
    „Danke der Nachfrage, mein lieber Freund, wenn es beliebt, würde ich gerne La Follia vortragen, meine liebe Frau Mama und ich spielten es oftmals in trautem Vereine …“ Er verstummte und senkte bekümmert den Kopf.
    „Corelli. Oh ja, das ist ein wunderbares Stück!“, bestätigte Isolde. „Warte, ich werde dich am Flügel begleiten! Die Noten hab ich irgendwo …“
    Verzaubert lauschten die Geschwister der seelenvollen Melodie. Valentina beobachtete den schlanken Jungen. Die Augen geschlossen, strich er die Geige, als wäre er aus Zeit und Raum gefallen. – Aber war er das nicht? Wo war seine Heimat? In welches Zeitalter gehörte er? Was würde weiter mit ihm geschehen? Ein bleierner Mantel legte sich auf ihr Herz.
    Als der letzte Ton verklungen war, setzte die Großmutter gedankenvoll die Brille ab. „Beeindruckend, lieber Dorian, diese Hingabe …“
    Der Junge öffnete erst jetzt die Lider. Er blickte sich um, wie aus einem Traum erwacht, und verneigte sich, seine Augen schimmerten feucht.
    „Er denkt an seine Mutter“, murmelte Valentina.
    Phil nickte.

K APITEL 9
    A m anderen Morgen rief die alte Dame noch vor dem Frühstück den Direktor des Treuenstein-Gymnasiums an. Freudestrahlend erschien sie in der Küche, wo ihre Enkel und Dorian schon am Tisch saßen. „Gute Nachrichten!“ Sie drückte den Jungen, der im Begriff war, sich mit einer kleinen Verbeugung zu erheben, auf seinen Stuhl zurück. „Am Mittwoch schon. – Vorspiel bei Professor Lauterbach. Ich hab dich über den grünen Klee gelobt, er konnte gar nicht anders, als dich einzuladen.“
    Dorian neigte den Kopf. „Liebe, verehrte Madame, ich danke höchlichst für Ihre wohlmeinende Fürsprache.“
    Valentina setzte grübelnd ihre Teetasse ab. Wenn Dorian tatsächlich ein Stipendium bekommen sollte, mussten sie sich über seine nähere Zukunft erst einmal keine Sorgen machen. Falls … Sie schluckte, als steckte ihr eine Ladung Kiesel in der Kehle. – Falls er überhaupt eine Zukunft hatte …
    Phil, der nebenbei in der Zeitung blätterte, unterbrach ihren schwarzen Gedankengang. „Hört mal zu! Wer fürchtet sich vorm bösen Wolf?“
    Der Artikel, den Phil nun vorlas, befasste sich mit den Bemühungen einiger Tierschützer, in einem umzäunten Waldstück die Wiederansiedelung von Wölfen in der Region zu fördern. Bei den ansässigen Schafzüchtern und Bauern stieß dieses Vorhaben auf wenig Gegenliebe, da es in den letzten Wochen wiederholt zu Schäden gekommen war. Hühner und Gänse, aber auch Schafe waren gerissen worden. Angeblich war einer der Wölfe ausgebrochen, was der Verein der Wolfsfreunde aber bestritt und zu einem Besuch des Geheges einlud, damit sich die Bevölkerung ein Bild von dem Experiment machen konnte.
    Valentina angelte nach der Salami. „Also, ich versteh die Bauern. Man sollte eigentlich froh sein, dass es in unseren Wäldern heute keine Wölfe mehr gibt.“
    Phil legte die Zeitung beiseite. „Ich weiß nicht, immer mehr einheimische Tierarten sterben aus. Ich hab mal gehört, dass Wölfe so gut wie nie Menschen anfallen. – Aber das mit den Schafen ist natürlich ein Problem.“
    „Ein Wolf ist wohl ein wildes Tier und folgt nur seinem Triebe, sich seinen Wanst zu füllen“, mischte sich Dorian ins Gespräch. „Indes ist der Mensch, der in des Wolfes Balg sich zeigt, ein rohes Monstrum, das ohne Conscience {3} zerstört und mordet, ganz allein aus reiner Lust am Blute.“
    Isolde nickte. „Ja, um den Wolf ranken sich etliche Gruselgeschichten. Ich denke, dass sich die Menschen von jeher vor Wölfen gefürchtet haben. Schaut euch die Märchen an! Der Wolf und die sieben Geißlein oder Rotkäppchen zum Beispiel. Und was Dorian meint – falls ich ihn richtig verstanden habe –, auch die Vorstellung, dass sich Menschen in Werwölfe verwandeln können, ist uralt.“ Nachdenklich strich sie Butter auf eine Scheibe Brot und sah dann plötzlich hoch. „Aber wisst ihr was? Ihr habt Ferien, wir haben einen Gast, und das Wetter ist wie gemacht für einen Ausflug. Warum schauen

Weitere Kostenlose Bücher