Der letzte Werwolf
die Köchin kam aus Ottsen, und dort sei die Geschichte – sie schwor's beim Leben ihrer alten Mutter, die den Mann gar selbst gekannt hat – geschehen. Auch hätte der Pastor sie erzählt und darum sei sie ohne Zweifel wahr. Es gab dort einen Bauern, der lebte eines Tags in Saus und Braus und war vorher so arm gewesen, dass es kaum zum Leben reichte. Zu gleicher Zeit kamen Angst und Schrecken in den Ort, weil jeden Monat, wenn der Vollmond schien, ein Mord geschah. Soviel die Häscher sich auch mühten, man konnte des Mörders nicht habhaft werden. Wie später ward bekannt, hatte der Bauer einen Teufelspakt geschlossen, des Inhalts, dass er sich in jeder Vollmondnacht zum Werwolf wandeln müsse, um dem Bösen eine Seele zuzubringen.
Als unser Wolfsmann eines Nachts einem alten Weibe an den Kragen wollte, schlug die Alte, noch recht gut bei Kräften, pfeilgerad die Türe zu, als er den Kopf durchsteckte, und klemmte ihn darein. Der Bauer schien wie tot, doch war er's nicht, er hatte die Alte angeführet und lief voll Angst davon. Kaum dass er indes im Bette lag, kam der Teufel, ihn zu holen, weil er den Zoll nicht abgeliefert hatte. In seiner Todesnot versprach der Bauer, das eigene Töchterchen zu fressen …“ Dorian machte eine Pause.
Valentina fühlte Gänsehaut aufsteigen. „Die eigene Tochter?“, wiederholte sie zweifelnd.
„Die eigene Tochter, so wie ich es sage. – Und er tat es. Er fraß das arme Kind im Blutesrausch des wilden Tieres, das er noch immer war. Doch eine Magd sah, wie es geschah und wie sich der Wolf darnach wieder in den Dienstherrn wandelte. Noch in derselben Nacht verließ die arme Dirne das Schreckenshaus und zog mit Sack und Pack an einen anderen Ort.“ Dorian schüttelte ernst den Kopf. „Sich mit dem Teufel einzulassen ist ein gar arges Ding. So denn – alsbald der nächste Vollmond kam, forderte der Böse des Bauern zweites Kind, sonst führe er sogleich zur Hölle. So starb auch dieses letzte arme Kind durch des eigenen Vaters Gier. Die Frau des Mannes, ein frommes, tugendhaftes Weib, erkannte nun, dass er ein Werwolf war, und floh in eines Klosters Mauern, und mit ihr ging auch das Gesinde von dem verfluchten Schreckensorte. So war der Mann nun ganz allein und musste sein schönes Haus wohlfeil verkaufen.“
Phil zog die Beine auf den Sessel. „Gruslig!“, sagte er. „Echt Stoff für einen Horrorfilm. Aber warum hat niemand etwas gegen den Werwolf unternommen?“
Dorian zuckte mit den Schultern. „Nun, ich bin nicht dabei gewesen, doch dünkt es mich als recht gewagt, einen Teufelsbündler aufzuhalten. Die Furcht wird wohl ein guter Grund gewesen sein. – Doch hören Sie, mein lieber Freund, es ist noch nicht zu Ende. – Der Mann, noch immer unter seines schwarzen Meisters Bann, verließ sein Dorf. Zu groß war der Argwohn, mit dem man ihn bedachte, sodass er hier schwerlich seinen Eid erfüllen konnte. Er kam in einem Wirtshaus unter, just in demselben, da die Magd, die ihn vormals als Wolf gesehen hatte, in Stellung war. Als bald darauf der Vollmond schien, schob sie den Riegel vor, sodass er in seinem Zimmer nun gefangen war. Dann rief sie die Häscher, die durch der Türe Ritzen die wütende Bestie, die zu entkommen suchte, sehen konnten. Man wartete, bis dass das Licht des Morgens den Wolf zum Bauern wieder wandelte, und legte ihn sogleich in Ketten. Alsdann führte man ihn zum peinlichen Verhöre und unter Folter gab er alles zu. Der Stab ward über ihn gebrochen und unter großem Jubel ward er verbrannt auf einem Scheiterhaufen, den die Köchin in zehn Ellen maß.“ Dorian atmete auf, als sei er noch heute erleichtert darüber, dass die Geschichte diesen Ausgang genommen hatte.
„Und der Teufel?“, erkundigte sich Valentina mit belegter Stimme. „Warum hat ihn der Teufel nicht geholt, wie er es angedroht hatte?“
„Liebe Mademoiselle.“ Dorian blickte sie ernst an. „Fürwahr, er hat sein Wort gehalten. Es hieß, die Flammen holten sich die Körperhülle. Doch als er mit dem letzten Schrei sein Leben aushauchte, fuhr aus des Feuers Glut ein scheußlicher Dämon im schwarzen Fellgewande, mit Hörnern wie ein Stier und einem Schwanz, der in die Menge peitschte, dass alles auseinanderlief. Dann tat es einen Donnerschlag und Funken regneten herab, dass schier die Häuser brannten an. Darnach ertönte schauerliches Geheule, worauf sich das Feuer teilte, den Bösen wieder zu verschlingen.“ Dorian nickte Valentina zu. „So musste der Bauer
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