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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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freier Natur zu sehen, schwand mit jedem Schritt.
    „Wenn ihr mich fragt …“, sagte sie, nachdem sie ein gutes Stück auf dem überwurzelten Pfad gegangen waren, ohne auch nur eine Schwanzspitze entdeckt zu haben, „ich hab das ungute Gefühl, die lauern in ihren Verstecken und beobachten uns. Lasst uns zurückgehen!“
    Phil nickte. „Ich fürchte, du hast recht. Die lassen sich nicht blicken.“
    Dorian pusselte mit schmerzverzerrtem Gesicht einen verdorrten Zweig aus seinem langen Haar, wobei er sich seiner Gastgeberin zuwandte. „Verehrte Madame, auch mir will sich der Sinn der Exkursion nicht recht erschließen. Monsieur Isegrim nachzuspüren ist keine Aventure, die einem vernunftbegabten Menschen angemessen ist. Drum schließe auch ich mich dem Vorschlage des lieben Mademoisellchens gerne an.“
    „Mademoisellchen!“, flüsterte Phil Valentina zu.
    „Halt die Klappe, kleiner Bruder!“, fauchte sie errötend, während sich im Hinterzimmer ihres Kopfes die Gedanken darum drehten, ob Dorian dieses Mademoisellchen tatsächlich so gemeint hatte, wie es in ihren Ohren klang – süß, ja fast zärtlich.
    Die alte Dame, die schon die ganze Zeit über Mühe gehabt hatte, ihnen nachzukommen, stöhnte. „Ich geb's ja zu, das Ganze war anscheinend keine gute Idee. Und dieser Weg ist einfach indiskutabel für so eine olle Scharteke wie mich – überall Stolperfallen. Ich bin ja kein Eichhörnchen mehr.“
    Phil deutete auf eine Abzweigung, die vom Gatter wegführte. „Ich glaub, da drüben kommt man auch zurück.“
    Phil hatte sich nicht getäuscht. Nur hundert Meter weiter trafen sie auf einen breiten Wanderweg, der, wie ein Wegweiser ankündigte, tatsächlich zurück zum Parkplatz führte. Erlöst blickte Valentina durch das schimmernde Grün hochaufstrebender Buchen zum Himmel. Sonne!
    Herr Bozzi trabte, ganz ohne an der Leine zu zerren, neben Isolde her. „Er ist wie ausgewechselt“, stellte sie gerade verwundert fest, als der Hund jäh stoppte, die Nase reckte und mit zitternden Flanken zu knurren begann. Die alte Dame seufzte. „Zu früh gefreut.“
    Valentina sah sich hektisch um. „Er wittert irgendwas. Hoffentlich ist das Gehege auch wirklich dicht.“
    Phil nickte ihr beruhigend zu. „Komm, weiß der Himmel, was ihm wieder in die Nase gefahren ist.“
    Isolde zog den widerstrebenden Hund ein kurzes Stück weiter. Mit einem enervierten Stöhnen drückte sie Dorian schließlich die Leine in die Hand. „Hier, mein lieber Hundedompteur. Versuch du dein Glück!“
    Dorian blickte auf den sich sträubenden Mischling herab. „Arrête!“ {7} , befahl er leise. Winselnd äugte Herr Bozzi zu ihm hoch.
    „Verehrte Madame“, sagte der Junge. „Ihr kleiner Freund scheint mir von einer argen Aversion erfasst, doch fühl auch ich einen Dégoût {8} , dessen Ursache mir ganz und gar obskur ist.“
    Valentina legte, angstvoll um sich spähend, einen Schritt zu. „Lasst uns schnell zum Auto gehen! Vielleicht liegt wirklich irgendwo im Gebüsch ein Wolf auf der Lauer, ich hab schon die ganze Zeit so ein ungutes Gefühl.“
    Leise vor sich hin grollend, trabte Herr Bozzi, das drahtige Fell wie die Borsten einer Wurzelbürste nach oben gerichtet, an Dorians Seite weiter. Der Parkplatz war schon in Sichtweite, als ihnen, noch ein gutes Stück entfernt, ein einsamer Spaziergänger entgegenkam. Schon von Weitem sah man, dass er das linke Bein nachzog, und im Näherkommen wurde deutlich, dass er nicht mehr der Jüngste war.
    Plötzlich stemmte Herr Bozzi die Vorderbeine in den Boden und weigerte sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Er fletschte die Zähne und verhielt sich in allem so, wie er es nur bei seinen größten Hundefeinden tat.
    Isolde seufzte. „Das Tier ist wirklich ein Fall für den Hundepsychologen!“ Sie hob drohend den Zeigefinger. „Herr Bozzi, dein Verhalten ist indiskutabel! Hör auf. Das ist nur ein alter Landstreicher. – Er kann einem leidtun.“
    Phil dachte, dass seine Großmutter sicher recht hatte. Der Mann war nicht sehr groß, seine Kleidung abgerissen und schmuddelig, der struppige Bart und das graue Haar verfilzt. Eine beißende Brise wehte aus seiner Richtung. Phil kräuselte die Nase. Der Kerl musste sich seit Jahren nicht mehr gewaschen haben.
    Als sie sich auf gleicher Höhe begegneten, versagten selbst Dorians Dressurkünste. Herr Bozzi bäumte sich auf und gebärdete sich wie ein Kettenhund, der seinen Knochen verteidigt. Ehe Dorian ihn davon abhalten konnte,

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