Der letzte Werwolf
schnellte er hoch und packte den Fremden an der Jacke.
Unverständliche Flüche ausstoßend, trat der Landstreicher nach dem kläffenden Angreifer, während Dorian sich abmühte, den wutschnaubenden Hund zurückzureißen. Die heftigen Bewegungen schienen dem Mann Schmerzen zu verursachen. Als es Dorian endlich gelungen war, den geifernden Vierbeiner auf Distanz zu halten, rieb er sich aufstöhnend den Oberschenkel.
Isolde stand da, wie vom Donner gerührt. „Heilige Muttergottes! Das hat er noch nie gemacht. Es tut mir ja so leid!“
Leichenblass fingerte sie den Reißverschluss ihrer Umhängetasche auf und kramte einen Schein aus dem Geldbeutel. „Nehmen Sie das und kaufen sie sich eine neue Jacke.“ Mit einer hastigen Bewegung griff der Mann nach dem Geld und humpelte gehetzt weiter. Herr Bozzi belferte hinter ihm her, als wolle er den Teufel persönlich vertreiben.
Die alte Dame fasste sich schwer atmend an die Brust. „Mein Herz. – Dieser Hund!“
Valentina starrte dem Alten nach. Stumm deutete sie auf eine Linie roter Tropfen, die seinen Weg markierte.
Ihre Großmutter zuckte zusammen. „Er blutet!“ Sie machte einen unsicheren Schritt in seine Richtung. Ehe sie dem Fremden hinterherlaufen konnte, hielt Phil sie zurück. „Lass ihn, Isolde!“
„Der Mann blutet doch!“ Ihrer Stimme drohte zu kippen.
„Aber nicht am Arm“, sagte Valentina. „Wenn du mich fragst, hat er eine Wunde am Bein. Vielleicht hinkt er deshalb so stark.“
„Du meinst, das war gar nicht Herr Bozzi?“ In den besorgten Blick ihrer Großmutter mischte sich Hoffnung.
Phil schüttelte den Kopf. „Vielleicht sollte man auch nicht wie wild um sich treten, wenn man schon eine Beinverletzung hat.“
„Eigenartig“, sagte Valentina, als sie alle wieder im Wagen saßen. „Herr Bozzi muss den Typ meilenweit gegen den Wind gewittert haben.“
Isolde sah in den Rückspiegel. „Na ja, nach Veilchen hat er ja nun wahrhaftig nicht geduftet. Aber dass sich mein Hund dermaßen indiskutabel benimmt. Da hat man blitzschnell einen Prozess am Hals …“
Dorian hatte nach dem aufwühlenden Vorfall noch nicht viel von sich gegeben. „Das Tier ist nicht zu täuschen wie der Mensch“, sagte er nachdenklich, „es kennt kein Falsch und folgt allein seinem Instinkte.“
Valentina und Phil sahen sich an, und beide dachten dasselbe. Auf Herrn Bozzis Nase war Verlass, das hatte er vor ein paar Tagen ein für alle Mal bewiesen.
K APITEL 10
Z wischen Wachen und Träumen lag Phil an diesem Abend im Bett und grübelte darüber nach, wie er die mysteriösen Ereignisse, die so unvermutet in sein Leben eingebrochen waren, einordnen sollte, ohne dabei den Verstand zu verlieren. Er öffnete die Augen und hielt sich an den vertrauten Konturen seines Zimmers fest. Da drüben stand der Schreibtisch mit dem PC, dort seine Sporttasche, im Regal saß sein alter Stoffhase neben dem Modellflieger, den er mit seinem Vater gebastelt hatte. Nichts deutete auf etwas Ungewöhnliches hin. Und dennoch lag nur eine Wand weiter ein Junge aus dem achtzehnten Jahrhundert und baute darauf, dass er und Valentina ihm dabei halfen, einen uralten Zauber aufzulösen. Phil warf sich auf die andere Seite. Werwölfe, Magie … Das war Fantasy. Und auch wenn er sich gern ab und zu mal einen Gruselfilm reinzog – verdammt noch mal, er war Realist! Für ihn zählten nur Fakten, Tatsachen! Stöhnend zog er sich das Kopfkissen über den Kopf. Tatsachen? War Dorian etwa keine Tatsache?
Auch Valentina lag an diesem Abend noch lange schlaflos. Dunkle Ahnungen schwirrten wie schwarze Rabenvögel in ihrem Kopf. Krampfhaft versuchte sie, die Augen offen zu halten. Ihr Blick streifte den Schreibtisch. Im vagen Licht der Straßenbeleuchtung schimmerten auf dem alten Seidentuch die Silberfäden des geheimnisvollen Symbols, mit dem alles angefangen hatte.
Sie stand auf und nahm es in die Hand. Augenblicklich durchfloss sie eine warme Strömung. Eine Strömung, die schwer in Worte zu fassen war. Hoffnung lag darin, und die unerklärliche Gewissheit, dem, was noch kommen würde, gewachsen zu sein. Phil und sie standen unter dem Schutz der Mondlilie, unter dem Schutz des Diana-Ordens, der sie zu dieser Mission ausersehen hatte. Merkwürdig getröstet, legte sie das Taschentuch unters Kopfkissen und fiel nur Sekunden später in tiefen, traumlosen Schlaf.
Geigenklänge geleiteten sie sanft aus dem Schlummer. Sie blinzelte auf den Wecker. Du lieber Himmel, fast zehn! Sie sprang aus
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