Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
Vom Netzwerk:
dem Bett und lief ins Bad.
    Nach dem Zähneputzen zerrte sie die Bürste durch ihre verstrubelte Mähne. Warum waren ihre Haare auch nicht so schön glatt wie Annas? Eine Grimasse schneidend, zwirbelte sie die Haarfülle hoch. So sah sie wenigstens älter aus – an die zwei Jahre bestimmt. Sie angelte nach den Klammern und versuchte, den Schopf festzustecken. Verdammt, das waren Sprungfedern, keine Locken! Erst der dritte Versuch stellte sie halbwegs zufrieden. „Besser wird's nicht!“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und drehte sich um.
    „Lieber Freund, die Phrasierungen heißt es weiter zu studieren und auch die Stakkati bedürfen noch der Übung“, hörte sie Dorian gerade sagen, als sie die Treppe hinunterlief.
    „So gut wie du werd ich nie spielen, aber …“ Phil vollendete den Satz nicht, denn er hatte seine Schwester entdeckt. Er winkte ihr mit dem Geigenstock zu. „Na, hab ich dich wach gegeigt?“
    Dorian wandte sich um und verneigte sich. „Wie der Tag sogleich erstrahlt, liebes Mademoisellchen, da Sie ihn nun beglücken mit Ihrer lichten Gegenwart. Sie sehen ganz bezaubernd aus.“
    Valentina nestelte verlegen an einer Haarklammer. „Ihr zwei habt bestimmt schon gefrühstückt?“
    Phil nickte. „Isolde ist mit Herrn Bozzi Gassi. Es ist noch Tee in der Thermoskanne.“ Den Blick wieder auf das Notenblatt gerichtet, legte er die Geige wieder an.
    „Lasst euch nicht stören!“ Damit verschwand Valentina in der Küche. Während ihre Augen beiläufig die Zeitung streiften, die ihre Großmutter auf dem alten Holztisch liegen gelassen hatte, goss sie Tee in ihre Tasse. Wie hypnotisiert blieb ihr Blick plötzlich an dem Blatt hängen, bis sie etwas Warmes am Oberschenkel spürte. „Verdammt!“ Verärgert setzte sie die Kanne ab. Überschwemmung. So was Blödes! Sie riss die Zeitung hoch, ehe sie noch nass werden konnte, und starrte gebannt auf das, was sie so aus dem Konzept gebracht hatte. Auf der Seite mit den Kleinanzeigen sprang ihr ein Symbol entgegen. Eine von zwei Halbmonden eingefasste Lilie. Und daneben stand in kleinen unaufdringlichen Lettern:
    Madame Céline, Lebensberatung, Lunastraße 7
    Da war es wieder. Das Zeichen. Kein Zweifel, die Anzeige war eine Botschaft! Ungeduldig holte sie einen Lappen und wischte den verschütteten Tee weg, der noch immer rhythmisch vom Tisch auf den Steinboden tropfte. Dann rannte sie, aufgewühlt mit der Zeitung wedelnd, in die Diele. „Das müsst ihr euch ansehen!“
    Phil legte sofort die Geige weg, als er verstanden hatte, was seine Schwester entdeckt hatte. Er riss ihr die Zeitung aus der Hand. „Wow! Das ist eine neue Spur.“ Sein Blick flatterte über die Spalte. „Keine Telefonnummer, keine E-Mail-Adresse! – Find ich eigenartig für eine Lebensberaterin. – Das kann nur eines bedeuten: Wir sollen hinkommen!“
    Dorian, der ihm über die Schultern sah, nickte heftig. „Mein lieber Freund, ich stimme Ihnen zu. Lassen Sie uns dem Zeichen folgen und keine Zeit verlieren, Madame Céline um Rat zu fragen.“
    „Lunastraße“, sagte Valentina. „Das ist hinterm Nordfriedhof. Am besten, wir nehmen den Bus. Wartet, ich zieh mich nur rasch um.“ Verlegen deutete sie auf ihre nasse Jeans. „Tee.“
    Nur wenig später stiegen sie mit einem staunenden Dorian in den Bus der Linie 21. Als sich eine Station weiter eine rundliche Frau in den Sitz neben ihn fallen ließ, sprang Dorian mit einer kleinen Verbeugung auf. „Es ist mir eine Ehre.“
    Nach einem verdutzten Blick schnappte die Rundliche ihre Einkaufstaschen und schwankte, empört vor sich hinschnaubend, bis zum Ende des fahrenden Busses.
    „Bitte, Dorian, lass das mit dem Verbeugen und diesen altmodischen Komplimenten“, flüsterte Phil. „Das macht heute kein Mensch mehr.“
    „Verzeiht, doch hat man mich erzogen zur Achtung wider meinen Nächsten und im Besonderen gegen Damen.“
    Wieder stoppte der Bus. Dorian beobachtete stirnrunzelnd, wie sich eine Gruppe Jugendliche rücksichtslos an einem gehbehinderten alten Mann vorbeidrängelte.
    Valentina, die seinen Blick aufgefangen hatte, verzog den Mund. „Okay, das gefällt mir auch nicht.“
    „Wie die Sitten sind, so sind die Zeiten, liebes Mademoisellchen“, gab Dorian unüberhörbar zurück.
    Valentina sah sich um und wurde rot. Was wohl die Umsitzenden von dieser merkwürdigen Unterhaltung denken mochten? Steckte hinter den ausdruckslosen Gesichtern unterdrücktes Grinsen? Sie war heilfroh, als sie hinter ein paar alten

Weitere Kostenlose Bücher