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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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Frauen endlich beim Friedhof ausstiegen.
    Die Lunastraße grenzte im Osten an den Nordfriedhof, sie mussten die parkähnliche Anlage nur durchqueren. Valentina liebte diese Insel der Ruhe inmitten der Stadt. Kaum hatte man das schmiedeeiserne Tor durchschritten, fand man sich in einer anderen Welt, einer Welt, die nichts Schreckliches hatte, der stillen Welt der Toten, über die ein Heer von Marmorengeln wachte. Als Phil und sie noch klein gewesen waren, hatte Isolde sie oft mit hierhergenommen, wenn sie das Grab ihrer Eltern besuchte. Valentina spähte nach rechts. Irgendwo da drüben musste es liegen. Dumpfer Buchsbaumgeruch mischte sich in den Duft des üppig blühenden Geißblatts, das in inniger Umarmung mit uralten Efeuranken die Friedhofsmauer umwucherte. Ein Eichhörnchen sprang auf den Weg und blieb erwartungsvoll sitzen. Phil beugte sich zu dem zutraulichen Friedhofsbewohner hinunter, der rasch durchschaute, dass er außer ein paar freundlichen Worten nichts zu erwarten hatte. Mit einem Ausdruck, den man fast als beleidigt hätte deuten können, drehte sich das Tierchen um und verschwand in anmutigen Sätzen im Gebüsch.
    „Niedlich“, sagte Valentina abwesend.
    Phil stand auf. „Ja, aber geht es euch auch so? – Irgendwie ist alles so irreal. Ich meine, hier ist alles sonnig und ruhig und …“ Er suchte nach einem passenden Wort.
    „Friedvoll!“, ergänzte Dorian. „Und dennoch dräuen dunkle Wolken im Abgrund meines Herzens.“
    Valentina presste die Lippen zusammen. Jeder von ihnen empfand sie, diese unwirkliche Ruhe, von der man ahnte, dass sie einen Sturm ankündigte.
    Über den Ostausgang des Friedhofs traten sie auf das alte Gehsteigpflaster der Lunastraße, einer beschaulichen Wohnstraße mit ehrwürdigen Bürgerhäusern aus einem längst vergangenen Jahrhundert. Während sie noch die Fahrbahn überquerten, deutete Phil auf eine Hausnummer. „Fünfzehn. Es muss weiter vorn sein.“
    Mit klopfenden Herzen erreichten sie das Anwesen Nummer sieben. Von einem kunstvoll geschmiedeten Zaun umgrenzt, stand im Schatten knorriger Laubbäume ein burgähnliches Gebäude mit Erkern und Türmchen. Düster und unheimlich. Valentina wies stumm auf einen Torpfeiler.
    Nun entdeckte auch Phil das Messingschild. „Das Symbol“, sagte er rau.
    „Wir sind am Ziele.“ Mit einer entschlossenen Bewegung stieß Dorian an das Eisentor, das sich ächzend auftat. Ein Plattenweg, dessen moosüberwucherte Fugen darauf schließen ließen, dass er nur selten begangen wurde, führte kerzengerade zum Portal des Hauses.
    Valentina sah sich noch nach einem Klingelknopf um, als die alte Kassettentür unvermutet aufsprang. Instinktiv wichen alle einen Schritt zurück. Ein scheinbar endloser Flur bohrte sich in den dunklen Leib des alten Hauses. Wie gelähmt warteten sie, dass jemand sie in Empfang nehmen würde. Aber es kam niemand. Phil suchte zweifelnd den Blick seiner Schwester. „Sollen wir einfach …“
    Valentina zuckte mit den Schultern. Wenn sie ehrlich war, spürte sie nur wenig Verlangen, das finstere Gebäude zu betreten.
    „Wohlan denn!“ Dorian straffte sich und schritt beherzt über die Schwelle.
    Valentina kniff für einen Moment die Augen zu. Nach einem tiefen Atemzug gab sie sich einen Stoß. „Komm, kleiner Bruder!“, sagte sie und folgte dem blonden Jungen, der stumm vorausgegangen war.
    Es war ganz still, als läge das Haus in einem hundertjährigen Schlaf, den keiner von ihnen durch Worte zu stören wagte. Nur allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit des langen Ganges, der nur vom Eingang her spärlich beleuchtet wurde.
    Phil beeilte sich, an Valentinas Seite zu gelangen. Rechts und links gingen hohe Türen ab. Aber welche zum Teufel sollten sie bloß nehmen? Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als die Eingangstür krachend ins Schloss fiel. Sie waren in Dunkelheit gefangen. „Verdammt, was soll das!“ Phils Stimme verebbte.
    Valentina tastete nach seiner Hand. Seine zitternden Finger fühlten sich feucht an. Einen unendlichen pechschwarzen Moment später öffnete sich die Tür am Ende des Flurs. Lautlos und wie von selbst.
    Ein warmer Schein ergoss sich in die Dunkelheit. Vor ihnen lag ein saalähnlicher Raum. Sie standen da und schauten.
    Bunte Glasfenster mit geheimnisvoll verschlungenen Mustern warfen schillerndes Licht auf den Steinboden, in dessen Zentrum ein Zeichen eingelassen war.
    „Die Mondlilie. Wieder die Mondlilie“, flüsterte Phil.
    An den Wänden

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