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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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Madame Célines Augen zusehends.
    „Als einem bösen Regenjahr, in dem alles Korn verdarb, ein strenger Winter folgte, kam zum Hunger noch die Eiseskälte. Der Tod zog in die Hütten ein, die Menschen starben wie die Fliegen. In ihrer großen Not zogen die Bauern vors Schloss und flehten ihren Herrn um Hilfe an. Doch ihre Klagen prallten an dem eisernen Herz des Grafen ab. Mit Waffengewalt ließ er die Verzweifelten wegjagen. Doch damit nicht genug. Als säße ihm der Teufel im Pelz, schickte er seine Steuereintreiber in die Dörfer und ließ jeden töten, der nicht zahlen konnte. Keiner sollte es je wieder wagen, etwas von ihm zu fordern.“
    Während Dorian mit versteinerter Miene zuhörte, hob sie den Zeigefinger zu einer drohenden Geste.
    „Doch so viel ist sicher: Wer Hass sät, wird nach dem ewigen kosmischen Gesetz Hass ernten. Noch während das Blut seiner Landeskinder im Schnee versickerte, gab der Graf einen rauschenden Ball. Im Schloss spielten die Geigen, während in den Dörfern die Wehklagen der Bauern in den Himmel stiegen, bis sie endlich einer Magierin zu Ohren kamen. – Sie muss von großer Macht gewesen sein, denn sie zog all die bösen Wünsche, die man Wolko so reichlich zugedacht hatte, zu einem gewaltigen Fluch zusammen. Dieser Fluch zwang ihn, fortan in jeder Vollmondnacht als Werwolf umzugehen. Aber nicht genug damit. Er sollte keine Ruhe finden, bis er auch den Letzten seines Blutes ausgelöscht hatte. Und sogar seine Söhne traf dieser schreckliche Bann. Vollmond für Vollmond müssen auch sie seither zu Wölfen werden …“
    Madame Céline bedachte Dorian, der mit hängenden Schultern dasaß, mit einem mitfühlenden Blick. „Im Blutrausch rottete Wolko seine ganze Familie aus – bis …“ Sie stockte. „Nun, ständest du, mein lieber Junge, als Träger dieses dunklen Erbes nicht unter dem lunaren Schutz, säßest du wohl kaum auf diesem Stuhl.“
    Bleischweres Schweigen legte sich über alle. Valentinas Kopf dröhnte. Was sollten sie und Phil gegen einen derart mächtigen Fluch ausrichten?
    Madame Céline schien ihre Gedanken zu lesen, denn sie sprach sie an. „Zwei Kinder gleichen Blutes, ein Mädchen und eine Junge, die mit der Glückskappe geboren sind, können nach der Göttin heiligem Plan dem Bann ein Ende bereiten. Denn Glückskinder sind starken Herzens und vor dem Bösen gut gefeit.“ Sie blickte die Geschwister ernst an. „Ihr habt den Ruf vernommen. Doch frage ich euch nun: Seid ihr auch bereit, ein Wagnis mit ungewissem Ausgang einzugehen?“
    Valentina schluckte. Wagnis. Was würde noch alles auf sie zukommen? War sie wirklich bereit, sich noch weiter auf ein unwägbares Abenteuer einzulassen, das sie schon jetzt an ihrem Verstand zweifeln ließ?
    Phil rutschte auf seinem Stuhl hin und her. „Haben wir eine Wahl?“, raunte er.
    Madame Céline erwiderte seine bange Frage ruhig und fest. „Ohne euer Einverständnis kann nichts geschehen.“
    Valentina fühlte, dass Dorian sie ansah. Sie hob den Kopf. Für einen zeitlosen Augenblick verschmolzen ihre Blicke. Scharf durchschoss sie eine quälende Gewissheit: Es hing von ihr ab, von ihr und Phil, ob dieser Junge, dem sie sich so seltsam innig verbunden fühlte, ins Leben zurückfand oder seinem schrecklichen Familienschicksal folgte. Mit einem stummen Nicken signalisierte sie ihr Einverständnis.
    „Ich will Dorian ja auch helfen“, sagte Phil, „aber ich verstehe nicht …“ Er schüttelte den Kopf, ohne den Satz zu beenden.
    Madame Céline lächelte. „Dein Verstand wird niemals fassen, was nur dein Herz fühlen kann.“ Dann wandte sie sich an Dorian. „Noch etwas musst du wissen: Wer durch einen Werwolf ums Leben kam, wird keine Ruhe finden, bis dieser Werwolf sein gerechtes Ende gefunden hat. Deshalb hoffen auch die armen Seelen deiner Ahnen auf dich …“, sie nickte den Geschwistern zu, „auf dich und deine Freunde. Im Dreierbund vermögt ihr den Fluch zu lösen. Dann wird dich dein dunkles Erbe nicht mehr belasten und du kannst endlich das Erbteil deiner Mutter leben, deine Liebe und Begabung zur Musik.“
    Dorians Fingernägel krallten sich in die Armlehnen. Sein Blick verlor sich im Nirgendwo.
    Madame Céline erhob sich. Trotz ihrer zierlichen Statur strahlte ihre aufrechte Haltung etwas Würdevolles aus, das sie größer erscheinen ließ. Sie bedeutete ihren Besuchern, ihr zu folgen, und schritt dann auf einen silbernen Kandelaber zu, der ihr fast bis zu den Schultern ging. Als die drei ihrer

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