Der letzte Werwolf
Chance.“
Valentina sah hoch. „Meint ihr nicht, wir sollten auch nach dem Jungen suchen? Vielleicht hat er das Amulett ja noch.“
Phil winkte resigniert ab. „Die Stecknadel im Heuhaufen? Wo sollen wir anfangen? Wir wissen weder, wie er heißt, noch, wo er wohnt –, falls er überhaupt noch in der Stadt ist.“
Dorian erhob sich. „Die Dinge werden sich wohl fügen. So lasset uns zu Bette gehen und auf den neuen Morgen hoffen, der uns, so Gott will, gewogen sein wird.“
Valentina raffte sich ebenfalls hoch und knipste die Nachttischlampe an. „Außerdem musst du fürs Vorspiel fit sein.“ Sie zog das Seidentuch unter ihrem Kopfkissen hervor. „Nimm es als Geigentuch, es soll dir Glück bringen!“
Dorian drückte das Tüchlein an die Brust. „Ich danke Ihnen, liebste Valentina, in jedem Faden ist der Frauen Liebe eingesponnen, die es einst besessen haben.“ Seine hellblauen Augen bannten ihren Blick und Valentina durchwogte eine warme Welle, die für einen Moment alles andere aus ihrem Bewusstsein schwemmte.
„Dann gute Nacht und träume süß vom Paradies!“, die unüberhörbar spöttische Bemerkung ihres Bruders ließ sie unsanft in der Realität landen. Sie fühlte, wie sie knallrot anlief. Damit Dorian nichts davon mitbekam, drehte sie sich um und blies die Kerzen aus. Als sie sich wieder aufrichtete, hatte Dorian das Zimmer verlassen.
Phil feixte. „Is was?“
Valentina schnappte ihren alten Plüschbären vom Bett und warf ihn Phil an den Kopf.
„Hey, was kann der denn dafür?“ Ihr Bruder rieb sich die Wange und hob den Teddy auf.
„Wofür?“, gab Valentina bissig zurück.
„Dafür, dass du verliebt bist.“
„Bin ich nicht, kleiner Bruder!“
„Bist du doch! Das sieht ja ein Blinder“, sagte Phil, setzte den Bär aufs Kissen zurück und schlenderte hinaus.
Valentina ließ sich aufs Bett sinken, sie nahm den Teddy auf den Schoß. Was für ein Tag lag hinter ihnen! Die Dinge spitzten sich zu. Sie steckten alle bis zum Schopf in einem höchst ungewissen Abenteuer. Sie presste das Stofftier an sich. Verdammt, sie hatte Angst! Etwas äußerst Bedrohliches stand bevor. Dorians teuflischer Urahn würde alles vernichten, was sich seinem Ziel in den Weg stellte, er würde auch vor Phil und ihr nicht haltmachen. Noch mehr Angst aber hatte sie um den Jungen, der so unerwartet in ihr Leben geplatzt war. Sie schluckte. Wie auch immer, sie hatte keine Wahl. Für Dorian würde sie zum tiefsten Grund des Meeres tauchen, nur um ein Sandkorn hochzuholen.
Zärtlich streichelte sie über die abgewetzten Ohren ihres Teddys und stellte sich vor, es wären seidige blonde Haare.
„Bin ich verliebt?“, flüsterte sie.
Der Stoffbär schwieg. Diese Frage konnte nur Valentina selbst beantworten.
K APITEL 14
P hil bewunderte die Gelassenheit, mit der Dorian sein Frühstück verzehrte. Wenn er selbst vorspielen musste, brachte er vorher keinen Krümel hinunter. Wahrscheinlich war Dorian auch gar nicht richtig klar, worum es heute ging. Phil sah ihm bewundernd zu, wie er sein drittes Honigbrötchen vertilgte. Okay, sein eigenartiger Freund hatte im Moment tatsächlich noch ein paar andere Probleme am Hals. Dagegen war das Vorspiel allerdings wirklich Pipifax.
Herr Bozzi durfte zu seinem großen Leidwesen nicht mitkommen, als sich sein aufgeregtes Frauchen in Begleitung ihres Favoriten und ihrer Enkel auf den Weg zum Palais machte. Isoldes gerötete Wangen harmonierten wenig mit dem orangen Tunikakleid, zu dem sie einen türkisfarbenen Schal trug. Seit sie das Haus verlassen hatten, redete sie unentwegt auf Dorian ein, der gelassen neben ihr her marschierte.
„Wenn das heute klappt, hättest du erst mal ausgesorgt. Ein Stipendium am Treuenstein-Gymnasium ist ein Lottogewinn. Die Stiftung wird von ehemaligen Schülern finanziert. Sie fördert Talente, die sich so eine Schule niemals leisten könnten. Jedes Jahr wählen sie nur zwei Bewerber aus den vielen Anwärtern aus.“ Sie nestelte mit fliegenden Fingern an ihrem Schal. „Vergiss nicht, ganz ruhig zu atmen, mein Junge, und lass dich von der Musik tragen. Und …“
„Isolde!“ Phil unterbrach sie. „Dorian ist die Ruhe selbst. Du bist nervös – nicht er!“
Dorian lächelte ihr zu. „Liebe, verehrte Madame, seien Sie ganz sorglos, ich werde Sie gewiss nicht desavouieren.“
„Ich weiß, ich weiß, ich benehme mich indiskutabel, natürlich wirst du mich nicht blamieren.“
Jetzt, in den Ferien, wirkte der Schultrakt wie
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