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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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fiel es ihr schwerer, ihre Gedanken zu kontrollieren. Die Angst webte wie eine schwarze Spinne ein klebriges Netz in ihrem Kopf und hielt sie darin gefangen.
    Hatte Dorians plötzliches Weglaufen mit der Entscheidung zu tun, von der die Alte gesprochen hatte? War er in eine Falle getappt? Ihre schlimmsten Befürchtungen gerannen zu einem schrecklichen Bild, das sich nicht abschütteln ließ: ein lebloser, aufgerissener Körper, Blut, das in blondes Haar sickerte. Übelkeit stieg in ihr hoch. Sie holte tief Luft. – Sie durfte sich jetzt nicht in Panik hineinsteigern! Am besten, sie setzte sich einen Moment hin.
    Sich zur Ruhe zwingend, suchte ihr unsteter Blick nach einer freien Bank am Kai, als augenblicklich alles von ihr abfiel.
    „Dorian!“, flüsterte sie. „Gott sei Dank!“
    Waren ihre Schritte eben noch bleischwer gewesen, lief sie jetzt wie in Meilenstiefeln auf den Jungen zu, der in sich zusammengesunken auf den Fluss starrte und ihr Kommen erst bemerkte, als sie sich neben ihn fallen ließ.
    Dorian hob den Kopf. Sein Gesicht war kreidebleich. Auf seiner Stirn stand eine Hoffnungslosigkeit, die Valentina ins Herz schnitt.
    „Was ist passiert?“
    Er richtete sich auf. „Ich ward Opfer eines Diebes.“ Aus seiner gepressten Stimme klang kaum beherrschbare Wut.
    Valentinas ratloser Blick erübrigte die Frage, was man ihm gestohlen hatte. Wortlos riss Dorian den T-Shirt-Kragen nach unten und präsentierte ihr seinen nackten Hals.
    „Ach du Schande!“
    „Der elende Furunkulus!“ Flammender Zorn blitzte aus seinen Augen. „Ihm ist gelungen, mich zu prellen. Er stürzte nur zu dem Behufe, mir das Amulett zu entreißen.“
    „Der Junge, der die Kirschen ausgekippt hat? Der war doch kaum zehn!“
    „Derselbige. Ich folgte ihm behände und war ihm wacker auf den Fersen, als er im Volksgetümmel entschwand.“ Dorian rieb sich verzweifelt die Stirn. „Ich fand mich ganz verloren in Lärm und Handelswaren ringsumher. Den Galgenstrick zu finden, war ein verloren Ding. Kaum fand ich aus dem Trubel mich selbst wieder heraus.“ Er tastete in einer resignierten Bewegung über die leere Stelle an seinem Hals. „Der Schutz, den mir das Amulett gewährte, ist somit perdu. Wie soll ich nun den Kampf bestehen?“
    „Vielleicht … vielleicht finden wir den Jungen ja“, sagte Valentina, wenig überzeugt. „Ich versteh bloß nicht, warum er ausgerechnet dich ausgesucht hat, die Kette war unter dem Shirt versteckt, woher wusste er überhaupt, dass du eine trägst?“
    „Dies, liebe Mademoiselle, bereitet mir nicht wenig Sorge. Mich dünkt, dass der infame Raub nicht von ungefähr kam.“
    „Du meinst, der Junge hatte den Auftrag?“ Valentina riss die Augen auf. „Aber von wem denn bloß …?“
    Dorian antwortete nicht. Den Blick auf den Fluss gerichtet, war er wieder in trübsinniges Grübeln abgetaucht. Sein Kummer drückte ihr den Atem ab.
    „Dorian“, sagte sie leise. „Du bist nicht allein.“
    Dorian wandte sich langsam zu ihr hin. Mit einem Blick, der ihr durch und durch ging, nahm er ihre Hand.
    „Liebste Valentina, sobald ich an Sie denke, schmilzt meines Herzens Not als wie das Eisen aus dem Erze in der Feuersglut.“
    Valentina stockte der Atem. Er hatte sie zum ersten Mal bei ihrem Vornamen genannt. Seine Hand fühlte sich kühl, ja eisig an und doch war sie die Quelle der prickelnden Wärme, die schlagartig ihren ganzen Körper durchflutete. Ihr Herz schien still zu stehen, aber ihre Gedanken brodelten. Was für ein verwirrendes Gefühl verband sie mit diesem seltsamen Jungen! Würde … würde er sie jetzt küssen? Würde sie es zulassen? Der Moment war perfekt für ihren ersten Kuss. So, genau so, hatte sie ihn sich vorgestellt. Unwillkürlich machte sie eine winzige Bewegung in seine Richtung. In Dorians hellblauen Augen blitzte etwas wie Überraschung auf. Valentina zuckte zurück. Sie fühlte, wie Röte in ihr hochstieg. Diese elende Röte! Bestimmt sah sie aus wie ein Lampion. Der magische Augenblick war zerstört.
    Sie zog hastig ihre Hand aus der seinen und fuhr sich übers Gesicht, als wolle sie Farbe wegwischen. Dann sprang sie auf. Sich räuspernd wies sie auf die Einkaufstüte. „Wir sollten gehen, Isolde braucht ihre Tomaten.“
    „Liebesäpfel“, korrigierte sie Dorian, „auch Paradiesäpfel, wie mancher sagt.“
    Liebesäpfel, dachte Valentina und suchte nach Zeichen von Spott. Aber sein Gesicht verbarg nichts.
    „Sehen Sie, liebe Herzensfreundin“, sagte er und

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