Der letzte Werwolf
rostige Ding war schon über und über mit Wachsstalaktiten überwuchert, die davon zeugten, dass er oft in Gebrauch war. Dann schaltete sie das Licht aus und setzte sich auf ihr Bett. „Ist es so nicht viel gemütlicher?“
Nachdem Dorian noch einmal ausführlich berichtet hatte, was ihm widerfahren war, erzählte Phil von seiner Verfolgungsjagd und wie ihn der Junge in dem roten Pullover mit demselben Trick abgehängt hatte wie seinen Freund vor ihm. Valentina und Dorian gaben ihm recht. Keiner von ihnen glaubte an einen Zufall, was das Zusammentreffen des Landstreichers mit dem Dieb betraf.
Dorian saß auf Valentinas Schreibtischstuhl, die langen Beine von sich gestreckt, und blickte in die Kerzenflammen. „Des Teufels Fratze bedient sich gerne des Zufalls Maske“, bemerkte er finster.
„Er hat dem Jungen also Geld gegeben“, sagte Valentina und zog die Beine an. „Wofür?“
Phil zuckte mit den Schultern. „Das konnte ich blöderweise nicht erkennen.“ Er beugte sich in Valentinas altem Korbstuhl bedeutungsvoll nach vorn. „Aber es liegt doch auf der Hand, dass es das Amulett gewesen sein muss.“
„Elender Spitzbube!“, zischte Dorian.
Valentina runzelte die Stirn. „Irgendwie gibt das doch keinen Sinn. Ich meine, wenn man davon ausgeht, dass der Alte den Jungen beauftragt hat, die Halskette zu klauen – warum will er sie dann nicht?“
Phil verzog den Mund. „Okay, das kapier ich allerdings auch nicht. – Vor allem, woher soll der Landstreicher überhaupt von dem Amulett gewusst haben?“
„Neulich im Wald.“ Valentina legte grübelnd das Kinn auf die Knie. „Da könnte er das Amulett gesehen haben. Vielleicht war er auch auf dem Markt und hat uns wiedererkannt. Ich meine, Dorian hatte doch Herrn Bozzi an der Leine, als er den Mann angegriffen hat. Vielleicht hat er den kleinen Taschendieb angeheuert, um sich an ihm zu rächen.“
Phil verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht, das ist doch ziemlich weit hergeholt.“
„Sie haben recht, mein lieber Freund, und es erschließt den Kern der Chose nicht: Er gab den Lohn, doch wollte er die Ware nicht.“
„Irgendwie ist alles total rätselhaft.“ Valentina schlang die Arme enger um die Knie. „Vor allem das mit dem Blutfleck find ich gruslig.“
Phil warf ihr einen zustimmenden Blick zu. „Geht mir ganz genauso. Der Mann hat ja schon im Wald am Bein geblutet. Seine Verletzung hätte sich längst schließen müssen.“
Dorian setzte sich abrupt auf. Seine Hände umklammerten die Armlehnen. Valentina überzog eine Gänsehaut. Auch ihr schoss plötzlich ein schrecklicher Verdacht durch den Kopf. Ein Strudel nachtschwarzer Gedanken riss sie mit sich fort. Für eine ganze Weile sagte keiner etwas.
„Wolko.“ Phils belegte Stimme brach in das unheilvolle Schweigen wie ein Hammerschlag.
Dorian sackte zurück.
„Wenn an dem alten Aberglauben was dran ist“, sagte Phil so zaudernd, als hätte er Glasscherben im Mund, „dann heilt eine Wunde nie, wenn …“ Er stockte.
„Wenn ein Werwolf mit einer Silberwaffe verletzt wurde“, murmelte Valentina, „selbst dann nicht, wenn er seine menschliche Gestalt wiedererlangt.“
Phil nickte beklommen. „Amalia muss ihn mit dem Liliendolch ordentlich getroffen haben.“
Die Kerzenflammen spiegelten sich wie ein inneres Feuer in Dorians Augen. „So ist mein Ahn, der unselige Teufel, mir bereits auf der Spur. Drum suchte er, das Amulett mir zu entwenden, was ihm durch des Diebes Hand gelungen ist, dass er sein Werk am letzten Sprosse seines Hauses vollende.“
„Das Amulett schien ihm aber riesig Angst einzujagen“, sagte Phil.
„Es ist aus reinem Silber und trägt Dianas Segen. So musste er des Knaben sich bedienen, denn selbst es zu berühren, kann der Diabolos nicht wagen.“
Valentina sah Dorian scheu an, hatte er vorhin noch verzagt gewirkt, klang seine Stimme jetzt wieder fest und von innerem Zorn bewegt. „Die Fehde nehme ich an und will sie wohl gewinnen. Bin ich auch ohne Amulett, so bin ich doch nicht ohne Schutz und Schirm.“ Er nickte erst Valentina, dann Phil zu. „Ihr, meine lieben Kampfgefährten, werdet mir treulich beistehen, und euer eingeborenes Glück wird unsern Bund zum Siege führen.“
Sein Enthusiasmus verebbte im sorgenvollen Schweigen seiner Freunde.
Grübelnd starrte Phil auf die Schattengeister, die im Licht der Kerzen über die Wand tanzten. „Wir müssen unbedingt diesen Liliendolch finden“, sagte er schließlich. „Er ist unsre einzige
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