Der letzte Werwolf
durchstrahlte ihren Arm. Die Klinge mit dem eingravierten Symbol des Diana-Ordens blitzte in der späten Sonne. Mit diesem Dolch hatte Amalia den Werwolf verletzt, und trotzdem war sie ums Leben gekommen. Mit diesem wenig erbaulichen Gedanken steckte Valentina den Dolch zurück und gab ihn Dorian wieder.
Herr Bozzi rannte freudig belfernd zur Tür, als er sie heimkommen hörte. Isolde folgte ihm in heller Aufregung in die Diele.
„Kinder! Ich bin einem Nervenzusammenbruch nah. Stellt euch vor, ich sitz im Wohnzimmer und les meine Zeitung, als Herr Bozzi anschlägt. Ich schau hoch, und …“ Sie presste schwer atmend die Hand auf die Brust. „Und seh eine Gestalt, die sich an der Terrassentür die Nase platt drückt. – Ich bin schier zu Tode erschrocken. Ein Einbrecher, hab ich gedacht. Am helllichten Tag! Und ich ganz allein im Haus. – Na ja, fast.“ Sie blickte stirnrunzelnd auf den kleinen Hund, der sich an Dorians Bein schmiegte. „Herr Bozzi hat natürlich auf Höllenhund gemacht. Wie ein Verrückter ist er zur Tür gerast.“
Valentina legte den Arm um ihre Großmutter. „Es scheint aber sonst nichts passiert zu sein.“
Isolde schüttelte den Kopf. „Es war ja auch kein Einbrecher. Ich hab meinen ganzen Mut zusammengenommen und mir das Telefon geschnappt. Ich will grade den Notruf wählen, als der Kerl einen Schritt zurückgeht und Licht auf sein Gesicht fällt. – Und jetzt kommt's!“ Ihre Stimme schwoll an. „Es war der Alte aus dem Wald.“
Isoldes Worte schlugen ein wie Kanonenkugeln. Ihre Enkel und Dorian warfen sich entsetzte Blicke zu, die Isolde nicht entgingen. „Seht ihr“, sagte sie, „das Gleiche wie ihr hab ich auch sofort gedacht. Der Kerl will nun doch eine Entschädigung, weil Herr Bozzi ihn angegriffen hat.“ Sie hob ratlos die Hände. „Ich frag mich bloß, wie er an unsere Adresse gekommen ist?“
Dorian lehnte sich kreidebleich an die Tür.
Isolde sah zu ihrer Enkelin hoch, die, sich selbst zur Ruhe zwingend, noch immer den Arm um ihre Großmutter gelegt hatte. „Ihr seid doch meine Zeugen. Herr Bozzi hat den Mann nur an der Jacke erwischt und ich hab ihm den Schaden gleich ersetzt. – Ich meine, der kann doch nicht jetzt noch mal daherkommen und Geld verlangen. – Inzwischen glaub ich, der ist ein ganz Raffinierter. Die Geschichte geht nämlich noch weiter. – Der Kerl sieht, dass ich das Telefon in der Hand halte, und haut ab. Ich lauf zur Tür und seh ihn aus dem Gartentor hinken. – Ich warte eine Weile und lass Herrn Bozzi raus. Er kläfft wie nicht gescheit und schnuppert den Boden ab und wisst ihr was – der Mann hat wieder eine Blutspur hinterlassen. Lauter kleine Tropfen.“ Sie befreite sich aus Valentinas Umarmung und straffte sich vor Empörung. „Das stinkt doch! Der legt sich mit Hunden an, dann macht er auf schwer verletzt und lässt sich von den Haltern Schmerzensgeld bezahlen!“ Nach einem entrüsteten Schnauben fiel sie jedoch sogleich wieder in sich zusammen. „Ob Herr Bozzi ihn wirklich gebissen hat und wir habend bloß nicht bemerkt?“
Phil las in den Gesichtern der anderen. Jedem von ihnen war klar, wer da heute ums Haus geschlichen war. Das war alles andere als beruhigend. Aber jetzt galt es zunächst, seine Großmutter zu beschwichtigen. „Unsinn, Isolde“, sagte er. „Außer an der Jacke hat Herr Bozzi ihn nirgends erwischt. Vielleicht hast du recht, und er versucht, mit der Verletzungsmasche an Geld zu kommen. Weiß der Himmel, mit welchem Trick er die Blutstropfen zaubert. Am besten, man ignoriert ihn. Ich glaub nicht, dass er …“, er räusperte sich, „dass er gefährlich ist.“
„Meinst du?“ Isolde atmete auf.
Valentina hob die Augenbrauen. Außer ihrer Großmutter wusste jeder von ihnen, dass der Alte mehr als gefährlich war. Hinter seiner harmlosen Maske steckte das personifizierte Böse. – Und Herr Bozzi wusste das auch.
Phils Einschätzung hatte Isolde erkennbar aufgerichtet.
„Wisst ihr was! Ich brauch Ablenkung. Wenn es schon mit dem Eisessen nicht geklappt hat – wie wär's mit einem kleinen Abendessen auf den Flussterrassen? – Schließlich hat sich Dorian heute beim Vorspiel ausgezeichnet geschlagen, das muss doch gefeiert werden. Wir lassen uns den Tag nicht von einem zwielichtigen Penner verderben!“
Isoldes Vorschlag stieß auf allgemeine Zustimmung, jeder von ihnen konnte Ablenkung gebrauchen. Und so hielt der Golf der alten Dame nur eine halbe Stunde später auf dem Parkplatz
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