Der letzte Werwolf
des Terrassenlokals am Fluss, das zu Isoldes Lieblingsrestaurants gehörte. Der warme Juniabend lud zum Draußensitzen ein. Herr Bozzi legte sich – das Idealbild eines braven Vierbeiners – zu Dorians Füßen. Von ihrem Tisch aus bot sich ein bezaubernder Blick über das geheimnisvoll funkelnde Wasser, auf dem die Lichter der Promenade zu der leisen Musik aus den Lautsprechern Reigen zu tanzen schienen. Ein milder, feuchtigkeitsgeschwängerter Lufthauch fächelte ihnen den würzigen Duft von Flusswasser zu. Und auch die gut gelaunte pummlige Kellnerin, die scherzhaft Dorians altertümliche Fragen nach den Gerichten der Speisekarte konterte, lenkte sie von den aufwühlenden Tageserlebnissen ab. Selbst in Dorians blasses Gesicht kehrte etwas Farbe zurück, als ihm die Bedienung mit einem schelmischen Hofknicks die Käselasagne servierte, für die er sich nach langem Hin und Her endlich entschieden hatte. „Das Mägdlein weiß sich zu benehmen“, sagte er zufrieden, als sie sich entfernt hatte. „Dies vermag man heutigentages selten vorzufinden.“
Isolde reagierte mit einem lächelnden Stirnrunzeln. Sie schien sich damit abgefunden zu haben, dass Dorian seine Macke hatte. „Ach, wie ich es genieße, mit euch hier zu sitzen“, sagte sie, als die Kellnerin ihnen als Nachspeise vier opulente Eisbecher gebracht hatte, die, wie sie fand, zu einem Essen auf den Flussterrassen unbedingt dazugehörten. – Genießerisch blickte sie auf die schirmchengeschmückte Kreation, die in einem hohen Glasbecher vor ihr stand. „Das Eis hier ist ein Muss!“
Valentina versuchte, an Dorians Gesichtsausdruck zu erkunden, ob er so etwas wie Speiseeis kannte oder ob sie mit einer Bemerkung rechnen mussten.
Interessiert probierte er eine Löffelspitze und lehnte sich dann zufrieden zurück. „Ganz vorzüglich, liebe Madame“, sagte er zu Isolde. „Die Frau Mama hat sich oftmals an Sorbet ergötzt, auch dieses Erbteil hab ich wohl von ihr.“
Isolde kramte in ihrer Handtasche. „Verflixt, jetzt hab ich den Fotoapparat doch daheim liegen lassen!“ Enttäuscht sah sie hoch. „Ich würde zu gern ein Erinnerungsfoto machen, hat wenigstens einer von euch sein Handy dabei?“
„Meines ist immer noch kaputt“, sagte Phil. „Wird Zeit, dass ich Geburtstag hab.“
„Aber ich hab meines mit“, sagte Valentina und legte ihr Mobiltelefon auf den Tisch.
„Wunderbar!“ Isolde klatschte in die Hände. „Kommt Jungs, umrahmt mich olle Scharteke mal!“
Bereitwillig folgten Phil und Dorian ihrem Wunsch. Valentina stand auf und ging etwas in die Hocke.
„Moment!“ Ihre Großmutter schob die Eisbecher in den Vordergrund. „Die müssen mit drauf! – Und Herr Bozzi natürlich auch!“ Damit bückte sie sich und nahm den kleinen Hund auf den Arm.
„Okay“, sagte Valentina. „Bitte lächeln! – Und Isolde, kneif nicht wieder die Augen zu!“
Dann klickte es. Sie schoss gleich drei Fotos hintereinander, um sicherzugehen, dass eines dabei war, auf dem Isolde die Augen offen hatte.
„Und jetzt fotografiert Phil, und du setzt dich zu uns!“, ordnete Isolde an.
„Augenblick!“ Valentina aktivierte den Bildbetrachter, um die Fotos zu kontrollieren.
„Was ist?“ Phil sah seine Schwester, die paralysiert auf ihr Handy starrte, fragend an.
„Zeig mal!“ Isolde streckte die Hand aus.
Valentina fuhr hoch. „Ähm, die Kamera … die Kamera ist scheinbar hin.“
„Ach wie schade!“
„Gib mal her!“ Phil war aufgestanden und nahm ihr das Handy ab. „Wow!“, entfuhr es ihm.
Valentina räusperte sich. „Isolde, leider – aber die Bilder sind alle nichts geworden – nur Schnee. Tut mir echt leid.“ Wachsbleich steckte sie das Handy weg. Verdammt, nicht nur auf Spiegeln bildete sich Dorian nicht ab, auch auf Fotos war er nicht zu sehen. Statt seiner hatte die Kamera einen leeren Stuhl und den Hintergrund festgehalten.
Ihre Großmutter zuckte mit den Schultern. „Technik. Da kann man nichts machen. Egal, jetzt esst euer Eis, damit es nicht schmilzt!“ Ihrer eigenen Aufforderung folgend, widmete sie sich damit ihrem Dessert. „Manchmal ist das Leben perfekt, so wie jetzt“, sagte sie und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Und endlich ist richtig Sommer!“ Sie deutete mit dem Dessertlöffel zum wolkenlosen Nachthimmel, in dem ein praller weißer Mond hing. „Seht nur! Noch zwei Tage, dann ist er voll. Hoffentlich haben wir zu Johanni Glück mit dem Wetter.“ Sie verdrehte träumerisch die
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