Der letzte Werwolf
war das Schlimmste. Wie sollte man einen Plan vorbereiten, wenn man lediglich vage den Zeitpunkt kannte, nicht aber den Ort und schon gar nicht, was geschehen würde? Der Landstreicher tauchte vor ihm auf, seine hasserfüllte Fratze, mit der er nach Herrn Bozzi getreten hatte. Vor seinem inneren Auge wuchsen gewaltige Hauer aus dem zahnlosen Mund des Alten, seine Pupillen gerannen zu rot glühenden Kohlen. Phil setzte sich auf, ehe das Schreckensbild sich vervollständigen konnte. Soviel war sicher: Sie würden es mit einem Werwolf zu tun bekommen. Mit einem Werwolf. – Verdammt noch mal, und wenn es noch so aussichtslos war, sie mussten irgendwie das Amulett auftreiben! Gegen das Amulett war die Bestie machtlos. Was nützte ihnen der Dolch, wenn Dorian ihn am Ende gar nicht mehr einsetzen konnte?
Obwohl sie gestern sehr spät ins Bett gekommen waren, war Isolde schon unterwegs, als das Trio am späten Vormittag beim Frühstück saß.
Dorian schien heute Morgen wenig Appetit zu verspüren, abwesend knabberte er an einem trockenen Toast. Keiner sagte etwas. Jeder von ihnen grübelte vor sich hin. Selbst Herr Bozzi, der die angespannte Atmosphäre zu erfühlen schien, wirkte bekümmert.
Auch Valentinas Magen war wie zugeschnürt. Schließlich stieß sie ihren Teller von sich weg. „Ich fühl mich so hilflos! – Es muss doch etwas geben, das wir tun können.“ Ihr Ausbruch brachte die Blase der Anspannung zum Platzen.
Phil stieß sein Messer in den Käse. „Verdammt, das denk ich auch schon die ganze Zeit! Und wisst ihr was: Wir sollten wenigstens versuchen, das Amulett zu finden!“
Dorians gehobene Augenbrauen signalisierten, was er darüber dachte.
„Phil hat recht, auch wenn es wahrscheinlich hoffnungslos ist, wir können nicht einfach abwarten und nichts tun“, sagte Valentina. „Ich komm mir vor wie jemand, der untätig auf einem Vulkan sitzt, obwohl er genau weiß, dass er bald Lava speien wird.“
„Die Parabel, liebste Valentina, gefällt mir wohl. Doch wie es anzustellen sei, die Halskette zu finden, erschließt sich mir mitnichten.“
Phil rührte nachdenklich in seiner Tasse. „Nachdem der Alte die Kette nicht angenommen hat, könnte der Junge sie doch noch haben.“
„Oder …“, sagt Valentina gedehnt. „Oder er hat versucht, sie zu Geld zu machen.“
„Hmm“, sagte Phil. „Leihhaus?“
Valentina schüttelte den Kopf. „Ich denk da mehr an einen Trödelladen. Also Piecek zum Beispiel kauft auch Schmuck an. Wir könnten doch die Antiquitätenläden am Markt abklappern. Wenn wir Glück haben …“ Ihre Augen leuchteten auf. „Warum eigentlich nicht? So unwahrscheinlich ist das gar nicht.“
Auch Dorian und Phil waren dankbar für diesen Einfall, dankbar, nicht zur Untätigkeit verdammt zu sein, während ein unwägbares, höchst gefährliches Abenteuer wie eine Lawine auf sie zurollte.
Beleidigt trollte sich Herr Bozzi in sein Körbchen, als ihm Valentina erklärt hatte, dass er nicht mitkommen durfte. Kaum eine Woche zuvor noch hätte er sich kläffend beklagt, und wieder einmal dachte Valentina, dass sich der kleine Hund völlig verändert hatte, seit Dorian bei ihnen war. – Alles hatte sich seither verändert …
Sie begannen ihren Erkundungsgang am Obermarkt, wo hinter blank geputzten Scheiben wertvolles Porzellan, Gemälde, Silberleuchter und antiker Schmuck auf Käufer warteten, die bereit waren, etwas mehr Geld auszugeben. Misstrauisch von den Ladeninhabern beäugt, inspizierten die drei, die so offensichtlich keine Kundschaft waren, die Vitrinen. Auf die Frage nach einem dunkelhaarigen Jungen und einem Silberamulett bekamen sie fast überall die gleiche Antwort: Man kaufe nicht von kleinen Dieben!
„Das war ja wohl ein Schuss in den Ofen“, stöhnte Phil, als sie von einer hochnäsigen Dame im Etuikleid hinauskomplimentiert worden waren.
„In diese feinen Läden hat sich das Bürschchen wahrscheinlich eh nicht reingetraut“, sagte Valentina achselzuckend und deutete nach vorn. „Kommt, klappern wir noch die Trödler ab.“
In den alten Fachwerkhäusern des Untermarkts, die sich trotz ihrer bescheidenen schmalen Fronten und kleinen Ladenfenster tief in den Bauch der Altstadt erstreckten, hatten sich schon vor dem Krieg Altwarenhändler und Trödler angesiedelt. Hier begegnete man dem Kleeblatt zwar freundlicher, doch fündig wurden sie zu ihrer großen Enttäuschung dennoch nicht. Nur einer der Händler glaubte sich an einen dunkelhaarigen Jungen zu
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