Der letzte Weynfeldt (German Edition)
war Hausmann, der es notgedrungen ab und zu anschnitt. Vor vier Wochen mit dem unaufgefordert abgelegten Versprechen, dass er in drei Wochen eine bereinigte erste Drehbuchfassung fertiggestellt habe. Die zwei oder drei unbereinigten hatte Weynfeldt nicht zu Gesicht bekommen. Sie hätten, laut Hausmann, einen falschen Eindruck vermittelt.
Weynfeldt griff nach seinem Weinglas und nahm mit angestrengt abgewandtem Blick einen Schluck, um Hausmann Zeit zu geben.
Eine Frauenstimme sagte: »Schon lange hier?«
Hausmann hatte also Alice Waldner, die Eisenplastikerin, vorgeschickt. Weynfeldt erhob sich, knöpfte sein Jackett zu, ergriff Alice’ kleine, immer geschwärzte Hand und begrüßte sie mit drei Wangenküssen. Er wartete, bis sie ihm gegenübersaß, setzte sich ebenfalls und winkte den Kellner herbei.
Er fragte, was sie trinken wolle, obwohl er wusste, dass es ein Punt e Mes sein würde, und bestellte dann einen Punt e Mes.
Von allen Freunden am Donnerstagstisch hatte er zu Alice das unverkrampfteste Verhältnis. Sie machte Eisenplastiken, die so groß waren, dass er nie in die Verlegenheit kam, eine zu kaufen. Ihr Metier war Kunst am Bau, ihre Zielgruppe die öffentliche Hand, Banken, Versicherungen und Besitzer von Villen mit großem Umschwung. Der Materialwert ihrer Werke überstieg bei weitem deren Marktwert. Entsprechend selten kam es zu Verkäufen.
Aber Alice Waldner schien es nicht so sehr um den Verkauf als um die Diskrepanz zwischen ihrer Erscheinung und ihrer Kunst zu gehen. Sie war knapp eins sechzig groß, zart, fast zerbrechlich und besaß eine niedliche Kinderstimme. Ihre etwas unbeholfenen Arbeiten aus Stahlträgern, Bahnschienen, Baggerraupen und Turbinenbestandteilen waren Herausforderungen an sie selbst und die wenigen Leute, die sie zu Gesicht bekamen. Sie lebte einigermaßen komfortabel von einer kleinen Erbschaft und den Alimenten ihres ersten Mannes, eines Managers aus der Deutschen Schwerindustrie. An Adrian Weynfeldt stellte sie keine Ansprüche, trotzdem war es schon vorgekommen, dass er ungefragt die Kosten für das Catering bei einer ihrer Vernissagen in der ausgedienten Fabrikhalle übernahm, die ihr als Atelier diente.
Kaum hatte Alice ihren Drink, kam Hausmann im Schlepptau von Kaspar Casutt und Kando an den Tisch. Casutt war ein »heruntergekommener Bündner«, wie er bei jeder Gelegenheit betonte. Einer, der aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Graubünden ins Tal heruntergekommen war. Er pflegte seinen Bündnerdialekt so wie Agustoni, der Wirt, sein übertriebenes Muratorideutsch. Er war ein recht guter Architekt, zu gut fand er, um sein Leben damit zu verbringen, Ferienhäuschen für Zahnärzte zu entwerfen.
So verbrachte er sein Leben eben damit, sich mit immer wieder anderen Architekturbüros zu überwerfen, meistens weil sie von ihm etwas verlangten, was er nicht mit seinem architektonischen Gewissen vereinbaren konnte. Dieser Punkt war mit jedem Mal schneller erreicht, und so schlug er sich immer öfter als Bauzeichner durch. Privatkunden, die direkt mit ihm arbeiteten, waren dünn gesät. Und mit den wenigen, die sich – oft durch Weynfeldts Vermittlung – mit ihm einließen, überwarf er sich bald wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten in Fragen der architektonischen Konsequenz. Der letzte größere Privatauftrag lag schon einige Jahre zurück. Er bestand im Umbau von Weynfeldts Wohnung. Auch dort gab es Meinungsverschiedenheiten, die aber jeweils in Casutts Sinn entschieden worden waren.
Kando war Hausmanns Freundin, eine Tibeterin, deren Eltern zu den tausend Tibetern gehörten, die die Schweiz 1963 als Flüchtlinge aufgenommen hatte. Sie gehörte neben Adrian Weynfeldt zu den wenigen, die an Claudio Hausmann und »Arbeitstitel Hemingways Koffer« glaubten, und stellte zusammen mit Adrian den kleinen Kreis seiner Sponsoren dar, indem sie die Miete der gemeinsamen Wohnung bezahlte und einen großen Teil ihres Lebensunterhalts bestritt. Kando arbeitete als Juristin bei einer Großbank und verdiente genug für zwei. Dass sie es trotzdem vermied, allein mit Weynfeldt am Donnerstagstisch angetroffen zu werden, lag daran, dass sie im Ruf stand, die unermüdlichste Mittelbeschafferin für Hausmanns Projekte zu sein.
Aber vor Zeugen bestand kein Grund, weshalb sie sich nicht neben Adrian setzen sollte, der wieder mit zugeknöpftem Jackett neben seinem Stuhl stand, beide Hände an der Rückenlehne des Nebenstuhls, bereit, ihn ihr unterzuschieben.
Die drei
Weitere Kostenlose Bücher