Der letzte Weynfeldt (German Edition)
Neuankömmlinge setzten sich und nahmen das Gespräch wieder auf, das sie beim Betreten des Agustoni geführt hatten. Weynfeldt kümmerte sich um die Getränke.
Jetzt kam Karin Winter in Begleitung von Luc Neri. Karin, einen Kopf größer als Luc, blond, kurzgeschoren und abgekämpft von einem Vormittag schleppenden Geschäftsgangs und der Aussicht auf einen ebensolchen Nachmittag. Sie besaß in der Altstadt in schlechter Passantenlage eine kleine Kunstbuchhandlung mit dem etwas unglücklichen Namen KuBu. Dass dies nicht nur die Abkürzung für Kunstbuch, sondern – viel geläufiger – auch die für Kundenbuchhaltung war, war ihr erst klargeworden, als die Aktiengesellschaft schon gegründet war.
Deren stiller Teilhaber ohne Stimmrecht war Adrian Weynfeldt, der seinen ganzen privaten Bedarf an Kunstbüchern und einen großen Teil seines geschäftlichen über KuBu deckte. Er tat dies nicht nur aus Nepotismus, sondern auch weil Karin auf ihrem Gebiet eine unangefochtene Expertin war.
Weynfeldt erhob sich zu ihrer Begrüßung und komplimentierte sie in einen Stuhl, in den sie sich mit tiefem Aufseufzen fallen ließ.
Luc, ihr nicht ständiger Begleiter – sie führten eine bewegte Beziehung mit getrennter Wohnung und unvereinbarem Lebenswandel –, setzte sich ihr gegenüber. Er war klein, rundlich und von ungesunder Hautfarbe. Sein feines schütteres Haar sah aus wie elektrisch geladen, und seinen Augen sah man an, dass er erst vor kurzem aufgestanden war. Luc war Internetdesigner und arbeitete vor allem nachts. Man konnte bei ihm einen Internetauftritt bestellen und bekam etwas vom Progressivsten geliefert, was der Markt zu bieten hatte. Das hieß, wenn man so viel Geduld besaß wie KuBu oder Adrian Weynfeldt, dem als Computerbanause seine gestylte weynfeldt.com ein wenig peinlich war.
Die Runde wurde lauter, man sprach kreuz und quer durcheinander, während man die Speisekarte studierte, als sei sie nicht seit Jahr und Tag unverändert geblieben.
Weynfeldt saß schweigend dabei, mit einer Mischung aus höflicher Teilnahme und Vaterstolz. Noch drei Plätze waren unbesetzt, aber es wurde nur noch ein Gast erwartet. Die beiden anderen Gedecke waren für unerwartete Besucher gedacht. Eine alte Weynfeldt-Tradition, die Adrian am Donnerstagstisch eingeführt hatte. Der letzte unerwartete Gast war vor über einem Jahr ein verlegener junger Mann gewesen, den Karin Winter mitgebracht und allen, auch Luc Neri, als »mein neuer Freund« vorgestellt hatte. Eine der vielen Episoden im Beziehungsfight Winter versus Neri.
Es fehlte nur noch Rolf Strasser, Kunstmaler. »Kunstmaler. Wie Kunstturner oder Kunstfurzer«, wie er sich selbst vorzustellen pflegte. Er hatte eine langjährige klassische Ausbildung hinter sich, unter anderem an der Akademie der Bildenden Künste in Wien als Meisterschüler und Träger des Meisterschulpreises. Er war ein virtuoser Maler, Beherrscher aller Techniken und Stile, perfekter Kopist alter Meister und verblüffender Fotorealist. Aber ein alter Professor hatte ihm in Wien einmal gesagt: »Strasser, Sie sind ein Könner – nur leider kein Künstler.«
Immer, wenn er betrunken war, also oft, wiederholte Rolf Strasser diesen Satz, in näselndem Wienerisch und lachend. Aber es gab keinen Zweifel: Dieser Stachel saß tief.
Er hatte ansehnliche Erfolge zu verzeichnen gehabt, erfolgreiche Ausstellungen, Kunstpreise, Stipendien, Besprechungen in Kunstzeitschriften. Aber immer blieb er auf der Suche nach seinem Stil. Ein Opfer seiner Könnerschaft.
Während einer quälend langen Phase hatte er seine ganze Energie darauf verwendet, alles, was er handwerklich beherrschte, abzulegen. Seine Arbeiten erhielten einen aufgesetzten Dilettantismus, wie wenn Erwachsene versuchen, Kinderzeichnungen zu imitieren. Danach verlegte er sich aufs Konzeptionelle. Konstruierte Malmaschinen, legte auf selten befahrenen Straßen Farbpfützen an und spannte Leinwände über den Asphalt, auf denen die Autos ihre Farbspuren zurückließen.
Seit längerer Zeit bezeichnete er sich wieder als Kunstmaler und malte wild drauflos, in der Hoffnung, dass sich dabei von selbst ein unverkennbarer Stil herausbilde. Das, was selbst den nicht besonders kunstinteressierten Betrachter sagen ließe: »Aha, ein Strasser.«
Wenn er nicht malte, zeichnete er. Wo immer er war, er zeichnete auf alles, dessen er habhaft wurde. Im Agustoni bot sich das Papiertischtuch dafür an. Während des ganzen Essens warf er Skizzen und Studien auf das
Weitere Kostenlose Bücher