Der letzte Weynfeldt (German Edition)
hatten sich im Laufe der Jahre der Kundschaft angepasst, die sich von Arbeitern, Studenten und Künstlern mehr auf Geschäftsleute, Theatergänger und Vernissagepublikum verlagert hatte, die Lust auf ein Arbeiter-, Studenten-und Künstlerlokal hatten.
Adrian Weynfeldt aß dort jeden Donnerstag mit ein paar Freunden zu Mittag. Immer am gleichen Tisch, immer das gleiche Menü: Insalata mista und Scaloppine al limone mit Risotto. Dazu trank er San Pellegrino und etwas Brunello di Montalcino, denn vom Hauswein, den hier sonst alle tranken, bekam er Kopfschmerzen.
Weynfeldt war, wie fast an jedem Donnerstag, der Erste am Tisch, der für zehn Personen gedeckt war, fünf an jeder Längsseite. Er saß an seinem Stammplatz, dem untersten links neben dem Kopfende. Es wäre ihm peinlich gewesen, die Tischmitte einzunehmen. Es hätte ausgesehen, als wollte er sich als Gastgeber aufspielen. Er bezahlte zwar immer die Zeche, aber nicht als Einladender, sondern einfach als der, der am meisten Geld zur Verfügung hatte. Weynfeldt saß an seinem Donnerstagstisch wie sein eigener, von ihm selbst und allen anderen nachsichtig geduldeter Gast.
In den Kreisen seiner jüngeren Freunde war ihm seine finanzielle Situation oft etwas peinlich. Es machte ihm überhaupt nichts aus, den Zahlmeister zu spielen, aber er fürchtete, es könnte ihm als prahlerisch oder überheblich ausgelegt werden. Deswegen übte er seine Großzügigkeit mit äußerster Diskretion aus. Seit Jahren suchte er gegen Ende der Mahlzeit die Toilette auf und visierte auf dem Rückweg beim Kellner rasch und ohne nachzurechnen die vorbereitete Rechnung. So kam niemand in die Verlegenheit, ihm danken zu müssen. Es gehörte zu Weynfeldts guten Manieren, dass er es seinen Freunden leichtmachte, von ihm zu profitieren.
Die umliegenden Tische füllten sich langsam, nur er saß immer noch allein. Manchmal hatte Weynfeldt den Verdacht, dass seine Freunde spät kamen, weil keiner der Erste sein wollte, der sich zu ihm setzen musste.
Der Grund war nicht, dass sie ihn nicht mochten, er hatte keine Minderwertigkeitskomplexe. Er glaubte vielmehr, dass seine Freunde einfach vor den anderen den Anschein vermeiden wollten, sie schmeichelten sich bei ihm ein, weil sie etwas von ihm wollten.
Nicht, dass nie jemand von ihnen etwas von ihm wollte. Aber solche Anliegen wurden nicht am Donnerstagstisch vorgetragen. Dazu traf man sich diskret und nach vorheriger Verabredung in anderen Lokalen oder bei Weynfeldt zu Hause.
Diesmal war es Hausmann, der als Erster kam, Claudio Hausmann, Filmemacher. Weynfeldt sah ihm an, dass er am liebsten umgekehrt wäre, als er ihn allein am Tisch entdeckte, und wandte den Blick ab. Tat, als ob er ihn nicht habe eintreten sehen, um ihm so die Chance zu geben, wieder zu verschwinden und vor dem Agustoni auf die anderen zu warten. Um ihm zu ersparen, dass er über »Arbeitstitel Hemingways Koffer« reden musste.
»Arbeitstitel Hemingways Koffer« war ein Filmprojekt, das Claudio Hausmann entwickelte. Im Jahr 1922 lebte Hemingway vier Monate lang in der billigen Pension de la Forêt in Montreux-Chamby. Seine erste Frau, Hadley Richardson, kam ihn besuchen und verlor auf der Reise einen Koffer, der sämtliche unveröffentlichte Fiction ihres Mannes enthielt.
Hausmann war bei allen Filmförderstellen abgeblitzt und hatte schließlich Weynfeldt dafür gewonnen, die Drehbuchentwicklung zu finanzieren. Hausmann war Autorenfilmer, das hieß, Weynfeldts private Drehbuchfördermittel flossen direkt auf dessen Konto. Bisher lag ein kurzes Exposé vor und – nach einer weiteren Überweisung – ein etwas ausführlicheres Treatment, das von den Filmförderstellen als nicht förderungswürdig eingestuft worden war. Ob zu Recht oder zu Unrecht konnte Adrian nicht entscheiden, er war kein Filmfachmann. Und seine Anregung, dem Schicksal des Koffers mehr Aufmerksamkeit zu schenken als den Auswirkungen des Zwischenfalls auf Hemingways erste Ehe, wurde von Hausmann als »zu hollywood« abgelehnt.
Inzwischen war das Projekt bis zum Dokument »Vier Musterszenen« gediehen plus mehreren Ordnern Recherchen, die Hausmann an den Schauplätzen Paris und Montreux betrieben hatte und weiter betrieb, ebenfalls auf Weynfeldts Kosten.
Dass seine Drehbuchfördermittel seit bald zwei Jahren Claudio Hausmanns einziges Einkommen darstellten, war eine Tatsache, die Weynfeldt niemals erwähnen würde. Er mied das Thema »Arbeitstitel Hemingways Koffer« auch sonst nach Möglichkeit. Es
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