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Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Titel: Der letzte Weynfeldt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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wiederkäute und im Schatten einer grobgezimmerten Alphütte ein Hirte und sein Sennenhund dösten. Albert Lugardon, 1827 als Sohn eines Landschafts-, Historien-und Porträtmalers geboren, galt als der Erfinder des sogenannten »hochalpinen Verismus«. Die Bilder waren in den letzten Jahren etwas in Mode gekommen. Nicht ganz Weynfeldts Fall.
    Vor zwei Jahren hatte eine ähnliche Landschaft wie die auf dem Sofa bei einem Konkurrenten von ›Murphy’s‹ zweiundzwanzigtausend Franken erzielt. Aber das Bild war etwas größer gewesen und von besserer Qualität. Mehr als zehntausend würde Frau Schär damit nicht erzielen.
    Die anderen Bilder waren Lugardon nachempfunden. Und dies ohne viel Einfühlungsvermögen und Talent. Sie waren alle unten rechts mit A.L. signiert und auf das Ende des neunzehnten Jahrhunderts datiert. Seines Wissens hatte Lugardon nie nur mit seinen Initialen signiert. Da hatte sich jemand offensichtlich ein Hintertürchen offengelassen für den Fall, dass man ihm auf die Schliche kam. Die Bilder waren wertlos. Jedenfalls für ein Haus wie ›Murphy’s‹.
    Während Weynfeldt die Werke studierte, hatte ihn Frau Schär triumphierend beobachtet. Jetzt erklärte sie: »Ich verstehe ja nichts davon, aber wenn mein Mann vom Geschäft die Nase voll hatte, hat er immer gesagt: »Jetzt verkaufen wir dann unsere Lugardons und leben von den Zinsen.«
    »Unseren Lugardon«, verbesserte Weynfeldt. »Nur das ist ein Lugardon, die anderen sind…« Er zögerte und beschränkte sich dann auf: »Die anderen sind keine Lugardons.«
    Frau Schär war nur ein paar Sekunden sprachlos. Dann sagte sie: »Sie irren sich. Das waren immer Lugardons.«
    »Es gab in jener Zeit viele, die malten wie er.«
    »Aber A.L. Da steht A.L. Albert Lugardon.«
    »Lugardon hat immer mit seinem vollen Namen signiert.«
    »Sie kennen also alle Bilder von ihm?« Das Rouge ihrer Wangen war jetzt vom Rot ihrer Gesichtsfarbe unterlegt.
    »Natürlich nicht. Aber alle, die ich kenne, sind mit Albert Lugardon signiert. Wie dieses hier.« Er zeigte auf den echten Lugardon.
    »Und wie viel ist der wert?«, fragte sie, jetzt wieder etwas sachlicher.
    Wenn Weynfeldt nicht ihretwegen den seit Jahren ersten Nachmittag geopfert hätte, den er mit einer Frau, die ihm gefiel, hätte verbringen können, wäre er wohl etwas höher gegangen. Aber so sagte er: »Achttausend Franken.«
    Nicht einmal ein Taxi ließ Frau Schär ihn von ihrem Telefon aus bestellen. Er konnte froh sein, dass sie nicht Susi auf ihn hetzte. Er musste ein ganzes Stück gehen, bis er eine Telefonkabine fand, und nahm sich wieder einmal vor, die Anschaffung eines Handys in Betracht zu ziehen.
    Jetzt stand er vor der Kabine, wartete auf das Taxi und dachte an Lorena. Tat sie solche Dinge öfter? Kleider im Wert von dreitausend Franken stehlen? Und weshalb tat sie es? Einfach, weil ihr ein Kleid gefiel, das sie sich nicht leisten konnte? Oder aus Langeweile? Oder professionell? Stahl sie teure Kleider und verkaufte sie?
    Ein Taxi kam in Sicht. Weynfeldt machte zwei Schritte auf den Randstein zu. Das Taxi verlangsamte sein Tempo nicht. Weynfeldt gab ihm ein Zeichen. Der Fahrer wies über die Schulter auf den Rücksitz. Dort saß eine mollige Frau. Frau Schär. Sie schenkte ihm ihr triumphierendes Lächeln. Weynfeldt reagierte nicht.
    Vielleicht war Lorena Kleptomanin. Adrian überlegte, welche Erklärung ihm am liebsten wäre. Er kam zu einem überraschenden Ergebnis: keine. Es war ihm egal, weshalb sie Ladendiebstahl beging. Mehr noch: Es war ihm egal, dass sie es tat. Er war sogar froh, dass sie es getan hatte. Wer weiß, ob er sie sonst je wiedergesehen hätte?
    In der Zeit nach ihrer ersten Begegnung war ihr Gesicht mit dem von Daphne eins geworden. Wenn er an Lorena dachte, sah er Daphne vor sich. Und wenn seine Gedanken bei Daphne waren – was nach all den Jahren immer noch regelmäßig geschah –, entstand Lorena vor seinen Augen.
    Doch seit heute unterschieden sich die beiden. Lorenas Züge waren schärfer, wie mit einem härteren Stift gezeichnet. Es trug erste Spuren eines exzessiveren Lebens, als es Daphne geführt hatte. Und eines längeren. Die Haut unter Lorenas Augen war um eine Nuance dunkler, und an den äußeren Augenwinkeln bildeten sich nicht nur beim Lächeln die feinen Falten, die seine Mutter »Krähenfüße« genannt hatte.
    Weynfeldt war so sehr in seine Betrachtungen vertieft, dass er das Taxi erst bemerkte, als es neben ihm hielt. Er ließ sich ins Büro

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