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Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Titel: Der letzte Weynfeldt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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d’Ingres«, diesen phallischen weiblichen Torso mit den F-Geigenlöchern, vorwegnahm?
    J.J. Cales heisere, sanfte Stimme sang »After Midnight«. Adrian stocherte in seinem Salat und sortierte die Radieschen aus. Er mochte keine Radieschen, sie stießen ihm auf. Irgendwann vor vielen Jahren hatte er die Gelegenheit verpasst, es Frau Hauser zu sagen, seither ließ er auf mehr oder weniger erfindungsreiche Art Radieschen verschwinden. Manchmal hatte er Frau Hauser im Verdacht, dass sie es schon lange wusste und ihn aus pädagogischen Gründen so lange damit quälte, bis er sich ein Herz fasste und es ihr beichtete.
    Seine Gedanken wanderten zu dem seltsamen Mittagessen mit Rolf Strasser. Wie hatte sich all das aufstauen können, ohne dass er es bemerkte? Gab es noch andere, denen es ähnlich ging mit ihm? Wie wenig er doch von seinen Freunden wusste. Rolf hielt ihn für überheblich. Betrachtete seine Höflichkeit als eine Form von Herablassung. Litt unter seiner Großzügigkeit. Kannte Baier. Ging eine Zeitlang jeden Tag zu ihm, zum Malen.
    Was malte Rolf bei Baier?
    Er legte eine Scheibe Roastbeef auf ein inzwischen erkaltetes Stück Toast und bestrich das Ganze gedankenverloren mit Remoulade.
    Was hatte Rolf Strasser bei Baier jeden Tag gemalt?
    Weynfeldt legte den angebissenen Roastbeeftoast auf den Teller zurück, stand auf und ging kauend zur Staffelei mit dem Vallotton.
    Das Licht des Spots fiel schräg auf das Bild und verlieh ihm einen matten Glanz. Es war wie fast alle Détrempes von Vallotton nicht gefirnisst. Einige dieser Arbeiten in Tempera trugen auf der Rückseite Vallottons eigenhändige Notiz: »Niemals firnissen.«
    Der matte Glanz, den das Bild aufwies, war die Patina der Zeit. Staub, Nikotin, Temperaturschwankungen und die Staublappen gewissenhafter Dienstmädchen hatten auf der Oberfläche des Bildes einen dünnen Film hinterlassen, wie eine matte Politur aus Wachs.
    In einer der vier Schubladen der schwarzen Anrichte von Paul Artaria, einem Einzelstück aus dem Jahr 1930, das Weynfeldt als Werkzeugmöbel diente, lag eine große Lupe. Er holte sie und inspizierte die Bildoberfläche.
    Kaum ein Pinselstrich zu sehen. Vallotton hatte in dieser Technik mit möglichst großen Pinseln und möglichst homogenen Flächen gearbeitet.
    Adrian näherte seinen Weynfeldtzinken dem Bild. Es roch vertraut und kaum wahrnehmbar nach etwas Altem, Organischem. Karton und dem Bindemittel – Knochenleim? Eigelb? –, das der Maler verwendet hatte.
    Oben rechts war das Bild signiert. »F. Vallotton. 1900«.
    Weynfeldt kannte die Signatur. Und auch die kleine Manie des Malers, nach seinem Nachnamen einen Punkt zu setzen, war ihm vertraut.
    Im Rot des Fauteuils, der von rechts ins Bild ragte, waren ein paar Stockflecken zu sehen, groß genug, dass sie auch in einer Reproduktion sichtbar sein müssten. Stockflecken waren keine schlüssigen Beweise für die Echtheit eines Bildes. Fälscher stellten sie routinemäßig her. Mit gefriergetrocknetem Kaffeepulver. Mit verdünntem Rost. Oder einfach mit stark verdünntem Umbra Natur.
    Er ging zur Bücherwand, nahm den zweiten Band von Vallottons Werkverzeichnis heraus, suchte unter dem Jahr 1900 und fand das Bild. Über eine halbe Seite hatte Marina Ducrey allein der Abbildung gewidmet.
    Die Stockflecken waren da. In gleicher Anzahl, an gleicher Stelle. Er ließ ein letztes Mal die große Lupe über die Abbildung gleiten. Alles stimmte. Auch die Unterschrift.
    Weynfeldt klappte das Buch zu, holte seinen Toast und konzentrierte sich wieder auf das Bild. Mit vollen Backen kauend suchte er es ab, er wusste nicht, wonach. Er schob sich den letzten Bissen in den Mund und suchte weiter.
    Der Punkt!
    Mit drei Schritten war Weynfeldt beim Werkverzeichnis, leckte die Reste der Remoulade von den Fingern – etwas, was er nie tat, nie! –, rieb sie im Innern seiner Hosentasche trocken und blätterte, bis die Seite mit dem Bild wieder vor ihm lag.
    Er nahm die Lupe, knipste ihr Lämpchen an und vergrößerte die Signatur. »F. Vallotton 1900«. Ohne Punkt nach dem Nachnamen.
    Wenn man von einem Bild erst einmal weiß, dass es eine Fälschung ist, ist es einfach, die Hinweise darauf zu finden. Weynfeldt rahmte es aus und entdeckte in kurzer Zeit gleich zehn. Zum Beispiel war die Farbe – das konnte er an einer vom Rahmen verdeckten Farbverdickung mit dem Fingernagel prüfen – zu frisch und zu elastisch.
    Das Bild war grundiert, aber Vallotton arbeitete immer mit nicht grundiertem

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