Der letzte Weynfeldt (German Edition)
noch einen Blick auf Doktor Widler. Ferdinand Hodlers Porträtserie der sterbenden Valentine Godé-Darel kam ihm in den Sinn.
14
Manchmal war es Adrian Weynfeldt unheimlich, nach Hause zu kommen. Das grelle unbarmherzige Neonlicht im Flur zwischen der knarrenden Eingangstür aus Eiche und der lautlosen Schiebewand aus Sicherheitsglas. Das Bewusstsein, dass jede seiner Bewegungen aufgezeichnet und zwei Monate aufbewahrt wurde. Der Aufzug, der ihn lautlos an den auch für ihn verschlossenen Stockwerken seines eigenen Hauses vorbeibeförderte. Die Stahltür, die aufglitt und ihn in den getäfelten Hausflur mit Eichenparkett entließ. Die doppelflügelige Wohnungstür, in deren Milchglasscheiben Art-déco-Motive geätzt waren.
An solchen Abenden kam es ihm vor, als würde er durch einen Stahltunnel in eine andere Welt und Zeit geschleust. Und wenn er seine Wohnung betrat, fühlte er sich wie der einzige Überlebende einer weit zurückliegenden Katastrophe. Kein Mensch wohnte in diesem Haus. Und keiner in den umliegenden Häusern. Er war ganz allein mit seiner Sammlung von Gemälden und Möbeln. Zeugen einer untergegangenen Kultur, die niemand je wieder aufrufen würde.
Er öffnete die Tür mit dem Schlüssel, den schon sein Vater und dessen Vater benutzt hatten, machte Licht und war froh, dass er sich auch in der Frage des Parketts nicht gegen Casutt hatte durchsetzen können. So war das alte, in allen Tonlagen knarrende Tafelparkett nicht restauriert, sondern durch ein massives Schiffbodenparkett aus Eiche ersetzt worden, über das er jetzt in die Küche gehen konnte, ohne fremde Schritte hinter sich zu hören.
Frau Hauser hatte ihm mit ihrer kleinen säuberlichen Schrift ihre übliche Liste in einen Notizzettelhalter in Form eines gelben Entchens geklemmt und dieses mit seinem Saugnäpfchen an die Chromstahlfront geklebt, hinter der sich die Kühl-, Gefrier-und Klimaschränke, die Backöfen, Dampfbacköfen, Mikrowellenöfen und Wärmeschubladen befanden.
Kaspar Casutt hatte Weynfeldt eine professionelle Küche verschrieben, deren Chromstahloberflächen allein einen großen Teil der Arbeitskraft von Frau Hausers häufig wechselnden Helferinnen beanspruchten. Nicht auszudenken, wenn Casutt das Magnetentchen entdecken würde.
Auf dem Zettel stand: »Roastbeef und gemischter Salat im Klimaschrank. Salatsauce dito separat. Sauce Remoulade dito. Toastbrot bereits vorgetoastet im Mikrowellenherd. Eine Minute (gelber Knopf). Keine Nachrichten auf dem Beantworter. Guten Appetit! Hauser.«
Adrian öffnete mehrere Türen, bis er die des Klimaschranks fand. Dort befanden sich Gemüse, Früchte und andere Lebensmittel in getrennten Klimazonen, jede mit ihrer eigenen Temperatur-und Luftfeuchteregelung. Er nahm das Tablett mit dem Roastbeef und dem Salat heraus, goss die Salatsauce über die Blätter und mischte sie mit dem Designersalatbesteck, das ebenfalls Casutt ausgesucht hatte. Danach drückte er auf den gelben Knopf des Mikrowellenofens, wartete das Beebeep der Elektronik ab, nahm die Toasts mit der bereitgelegten Brotzange heraus und legte sie in das ebenfalls bereitgestellte, mit einer Serviette ausgeschlagene Brotkörbchen. Das war ungefähr das Höchste an Kochkunst, was er beherrschte.
Er fand auf Anhieb den Weinklimaschrank, wählte einen Blauburgunder aus der Region und trug das Tablett den weiten Weg zu seinem Arbeitszimmer, dem einzigen Raum außer dem Schlafzimmer, in dem er sich an solchen Abenden wohl fühlte.
Er machte Licht. Die indirekte Beleuchtung des Raumes ging an, und ein Spot warf seinen Lichtkegel auf den Vallotton in der Mitte des Raumes.
Adrian knipste die Tischlampe an und das indirekte Licht aus, schuf etwas Platz auf seinem Arbeitstisch und deckte auf. Er legte eine CD in die Anlage – J.J. Cale, Musik aus seiner Jugend –, schenkte das Glas voll und begann zu essen.
Das Licht im Raum wurde eine Schattierung dunkler – draußen in einem der Geschäftshäuser war eine Reihe Bürofenster erloschen. Er saß im Kegel seiner Arbeitslampe, einsam wie der Mann im Mond. Ein paar Meter vor ihm kniete Vallottons Modell vor dem Salamander, auch sie nur von einer einzigen Lichtquelle angeleuchtet.
Warum hatte Vallotton ihre unteren Extremitäten unterschlagen? Ein virtuoser Zeichner und geübter Anatom wie er? Hatte Marina Ducrey, die Verfasserin seines Werkkatalogs, recht, dass er sich damit auf die kykladischen Idole von 2000 v. Chr. bezog? Und dass er damit Man Rays »Le Violon
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