Der letzte Weynfeldt (German Edition)
sich an der Böschung übergeben. Das erste Mal erschrak sie über die Farbe des Erbrochenen, bis ihr einfiel, dass sie Bloody Mary getrunken hatte.
Ihr war kalt. Sie hatte einen Mantel dabeigehabt, kein schlechtes Stück, schwarzer Gabardine, Donna Karan, Herbst 2005, aber sie hatte ihn an der Garderobe der Bar hängenlassen. Es hätte ihr den Abgang versaut, wenn sie ihn geholt hätte.
Sie war irgendwo in der Vorstadt, sie wusste nicht genau, wo. Weit, jedenfalls. Zu weit, als dass sie zu Fuß hätte nach Hause gehen können. Schon gar nicht in ihrem Zustand.
Hier geht sie, das Ducelli-Girl, dachte sie und schluchzte auf. Sie war nicht prüde. Es war schon vorgekommen, dass sie in ähnlichen Situationen mit einem ins Bett gestiegen war. Es war diese Selbstverständlichkeit, mit der dieses Arschloch glaubte, sich bedienen zu dürfen, die sie fertigmachte. Nicht so. Nicht nach einem Tag wie diesem.
Wieder verlangsamte ein Auto das Tempo, blinkte rechts und hielt ein Stück weiter vorne an. Lorena hielt den Blick auf den Gehsteig vor ihr gerichtet. Als sie auf gleicher Höhe mit dem Wagen war, fragte eine Stimme: »Taxi?«
Sie blieb stehen und nickte. Der Fahrer fasste in den Fond und öffnete die Tür. Lorena ließ sich in den Sitz fallen und zog die Tür zu.
Der Fahrer war ein älterer Mann mit müden freundlichen Augen. Er musterte sie im Rückspiegel. »Alles in Ordnung?«, fragte er mit slawischem Akzent. Als er sah, dass seine Passagierin kein Wort herausbrachte, sagte er: »Ich fahre einfach mal Richtung Zentrum, okay?«
Lorena nickte. Sie entspannte sich. Im Taxi war es warm, und es roch wie in allen Taxis nach dem Wunderbaum, der am Rückspiegel baumelte.
Sie nahm das Portemonnaie aus der Handtasche und sah ihre Ahnung bestätigt: Sie hatte weniger Geld bei sich, als der Zähler bereits anzeigte. Sie war für die ganzen vier Tage, die die Messe dauerte, engagiert und würde ihre Gage erst am letzten erhalten.
Das bedeutete, sie konnte nicht nach Hause. Sie musste zu jemandem, der das Taxi bezahlen und ihr bestenfalls mit etwas Geld aushelfen konnte. Dafür kamen im Moment genau zwei Menschen in Frage: Pedroni und Weynfeldt.
Sie gab Weynfeldts Adresse an, sie konnte heute Abend keinen Mann mehr verkraften, der etwas von ihr wollte.
Sie nahm einen kleinen Spiegel aus der Handtasche und brachte ihr Gesicht einigermaßen in Ordnung.
»Sind Sie sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte die Stimme des Fahrers. »Das ist eine Bank.«
Lorena hatte nicht bemerkt, dass sie schon angekommen waren. »Doch, doch, warten Sie einen Moment, ich läute.« Sie stieg aus dem Wagen und drückte auf die Klingel. In der Gegensprechanlage blieb es still.
Sie klingelte noch einmal. Immer noch keine Reaktion.
Lorena ging zurück zum Taxi und wählte im Licht der Innenbeleuchtung auf ihrem Handy die Privatnummer von Weynfeldts Karte. Der Fahrer beobachtete sie mit resigniertem Blick.
Weynfeldts Beantworter meldete sich. Gerade als Lorena ihre Nachricht diktieren wollte, öffnete sich die schwere Holztür. Zwei Männer kamen heraus. Der eine war Adrian Weynfeldt. Der andere ein alter Mann am Stock.
16
Nach seiner Entdeckung hatte Adrian lange an seinem Arbeitstisch gesessen, mechanisch Frau Hausers kalten Imbiss aufgegessen und die Flasche Wein geleert.
Die Ungeheuerlichkeit des Ganzen hatte ihn gelähmt. Er wusste nicht, wer ihn mehr anwiderte: Baier, ein wirklich alter Freund der Familie, der sein Vertrauen so schamlos ausnutzte und es in Kauf nahm, dass Weynfeldt seinen guten Namen und seinen Ruf als Experte ruinierte. Oder Strasser, ein vermeintlich guter persönlicher Freund, der sich für dieses schmutzige Spiel benutzen ließ.
Weynfeldt hatte zum Telefon gegriffen, sich aber nicht entscheiden können, wen er zuerst anrufen und zur Rede stellen sollte: den Fälscher oder den Hehler.
Es war fast halb zwölf, als er sich für den Fälscher entschied. Wenn er ehrlich war, nur aus dem Grund, weil der Hehler der Generation angehörte, die man nach zehn Uhr nicht mehr mit Anrufen belästigte.
Strasser meldete sich nicht, weder zu Hause noch auf seinem Handy.
Er überwand sich und rief Baier an. Stellte sich vor, wie das Telefon durch das Haus klingelte, wie Baier unter Schmerzen aus dem Bett kletterte, Licht machte, seinen Stock suchte. Oder hatte er ein Telefon neben dem Bett?
Nach dem sechsten Klingeln meldete sich Baiers wache Stimme und erklärte, dass er im Moment nicht zu erreichen sei und man ihm
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