Der letzte Weynfeldt (German Edition)
Zeichnungskarton.
Der matte Glanz der Oberfläche – das ergab ein Test mit dem Feuerzeug an einer verdeckten Stelle – stammte nicht von der Patina der Zeit, sondern von einem dünnen Film aus mattem Wachsfirnis.
Es dauerte keine Stunde, bis Adrian Weynfeldt mit letzter Sicherheit wusste, woran Rolf Strasser in Klaus Baiers Haus jeden Tag gemalt hatte.
15
Es war das erste Mal, dass Lorena Grid Girl machte, aber sie konnte nicht wählerisch sein, der Februar war kein Messemonat.
Die Agentur, die ihr jeweils die Jobs als Messehostess und Promoterin vermittelte, hatte angefragt, ob sie auf der Motorradmesse arbeiten wolle, und sie hatte zugesagt. Sie hatte geglaubt, sie würde in einem zweiteiligen Kostüm mit passender Pillbox auf dem Kopf Motorradhändlern aus der Provinz lauwarmen Prosecco kredenzen. Aber dann stellte sich heraus, dass von ihr erwartet wurde, dass sie Neuheiten präsentierte, sich also auf Motorrädern räkelte.
Nun, hatte sie sich gesagt, auch Grid Girl kann man mit Stil machen. Auch in der Grid-Girl-Welt gab es Hierarchien, und sie würde schnell herausgefunden haben, wie diese funktionierten.
Es war wie in der Welt der Models: Die Number One war diejenige, die die Topmodelle präsentierte. Und das Topmodell auf der diesjährigen Motorradmesse war die Ducelli 7312. Alle wollten sich auf der Ducelli räkeln.
Die Mädchen, die sich im zur Garderobe umfunktionierten Abstellraum bei den Toiletten der Messehalle aufhielten, zwischen Kleenexboxen, Schminkköfferchen und Kaffeebechern voller aufgeweichter Zigarettenstummel, neckten sich mit der Ducelli wie Tanzschülerinnen mit dem bestaussehenden Tänzer des Kurses.
Ab und zu kamen, ohne anzuklopfen, Männer in den Raum und schauten sich die Girls an. Die meisten waren untersetzt, trugen ihre Ausstellerkarten an breiten, bunten Bändern vor dem Bauch und legten die Mischung aus Breitspurigkeit und Schüchternheit an den Tag, die Lorena bei Nachtclubbesuchern beobachtet hatte.
Die Mädchen schielten nach dem Markennamen auf der Ausstellerkarte, und je nachdem, wie er lautete, waren sie nett oder netter.
Lorena wusste schnell, dass sie die Ducelli nicht präsentieren würde. Sie ignorierte die Aussteller oder musterte sie abschätzig. Sie blieb auf ihrem Plastikhocker sitzen – es gab nicht genügend Sitzgelegenheiten –, fest eingehüllt in ihren Mantel, denn die Heizung funktionierte nicht richtig in diesem fensterlosen verrauchten Raum.
Deshalb begriff sie nicht, was ablief, als einer der Männer, etwas jünger, etwas schlanker und eleganter gekleidet und ohne das farbige Halsband, zu seinem stämmigen Begleiter etwas sagte und auf sie zeigte.
Erst, als sich die Köpfe der anderen Mädchen zu ihr drehten, schaltete sie: Sie war soeben das Ducelli-Girl geworden.
Kurze Zeit später saß sie in engen schwarzen Lederhosen, kniehohen, hochhackigen spitzen Stiefeln, einem engen schwarzen Shirt mit dem Ducelli-Schriftzug und einer offenen Motorradjacke im Rot der Ducelli 7312, ebenfalls mit deren Logo versehen, an einem der Schminktische und versuchte die ältere Frau, die sie eingekleidet hatte, daran zu hindern, sie gänzlich unkenntlich zu schminken.
Ihre gesellschaftliche Stellung unter den Grid Girls hatte sich schlagartig verändert. Sie wurde mit neuem Respekt behandelt, erhielt ab und zu ein Lächeln, wenn auch ein etwas gekünsteltes. Eine brachte ihr Kaffee, eine andere bot ihr eine Zigarette an, und eine Dritte versuchte sich mit ein paar freundlichen Worten gut mit ihr zu stellen. Lorena musste sich eingestehen, dass sie die Situation genoss. So weit ist es mit dir gekommen, dachte sie, dass du dich darüber freust, das Ducelli-Girl geworden zu sein.
Es war laut in der Messehalle. Musik von verschiedenen Ständen vermischte sich mit dem plötzlichen Aufheulen von Motoren und dem dumpfen Dröhnen aus einer Nebenhalle, in welcher die Teilnehmer der Streetbike-Freestyle-Meisterschaft trainierten. Auf einem Podest unter einem roten Tuch zeichneten sich die Umrisse der Ducelli ab. Es war umringt von Messebesuchern, die meisten im Freizeitlook: Trainingsanzügen mit Schriftzügen, Motorradkluften, Windjacken, Jump Suits. Fast alle hatten Kameras umgehängt oder reckten Digicams oder Handys über die Köpfe. Ein Mann im Businessanzug mit italienischem Akzent hielt eine enthusiastische Ansprache voller technischer Daten.
Lorena stand etwas im Hintergrund und wartete auf ihr Stichwort. Sie war tatsächlich etwas nervös. Sie hatte
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