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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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Madeleines Mutter, Annica Holst. Ihr Mann stand neben ihr. Seine Augen waren leer, als warteten sie noch darauf, sich mit Trauer zu füllen. Bis zum Überlaufen mit Trauer gefüllt, dachte Mogens. Genau das hatte er viele Male gesehen. Zuerst eine Leere, dann akute Trauer, dann Schock, dann Zorn, und danach das Ganze immer wieder von vorn, in ungleichmäßigen Intervallen wiederholt, wie eine Art ewige Trainingsrunde in der Hölle, im Inferno. Es war ein Inferno. Er hatte das Inferno gebracht, war Bote der Hölle. Jetzt war er der Schuldige, jetzt war es seine Schuldigkeit, Fragen zu beantworten.
    »Wer hat das getan?«, wiederholte Annica Holst. Ihre Augen waren ebenfalls trocken, als wäre Mogens’ Nachricht noch nicht bei ihnen angekommen.
    »Wir wissen es noch nicht. Die Todesursache steht noch nicht fest.«
    »Was meinen Sie damit? Dass Sie die Ursache nicht kennen?«
    »Wie es sich zugetragen hat.«
    »Ist sie plötzlich krank geworden? War es ein Unfall?«
    »Das glauben wir nicht«, antwortete Mogens.
    »Herr im Himmel, ist sie etwa ermordet worden?«
    »Allem Anschein nach, ja«, sagte Mogens.
    »Wo ist Martin?«, fragte sie. »Haben Sie mit Martin gesprochen? Was sagt er?«
    »Ja. Wir haben mit ihm gesprochen.«
    »Ist er … ist ihm auch etwas passiert?«
    »Er wird gerade vernommen.«
    »Ist er verletzt?«
    »Nein.«
    »Gott sei Dank.«
    Mogens sah die Erleichterung in ihren Augen. Sie hatte es noch nicht begriffen. Es war natürlich überhaupt nicht zu begreifen. Sie glaubte noch immer, es gäbe Hoffnung. Sie griff nach allem, was nach Hoffnung aussah.
    »Hat er etwas gesehen?«, fuhr sie fort. »Hat er jemanden gesehen?«
    »Das wissen wir noch nicht«, antwortete Mogens.
    »Wir müssen in die Stadt fahren und ihn holen«, sagte Annica Holst. »Seine Eltern sind in Spanien. Er darf doch jetzt nicht allein bleiben. Nicht dort.« Sie wandte sich ihrem Mann zu. »Peder? Wir müssen ihn zu uns holen.«
    Der Mann antwortete nicht. Mogens begegnete seinem Blick. Peder Holst hatte es begriffen.
    »Peder? Was ist?« Annica Holst schaute ihren Mann an, dann Mogens.
    »Was ist? Sie haben ihn doch wohl nicht … Sie glauben doch wohl nicht, dass er es getan hat? Dass Martin …«
    Sie brach ab.
    Und langsam begann sie zu begreifen, was geschehen war. Ihre Tochter war umgebracht worden. Bis zu diesem Moment des Gesprächs hatte sie nur daran gedacht, wer es getan haben könnte. Oder besser gesagt, nicht getan hatte. Wie es geschehen war. Doch jetzt begriff sie, dass es geschehen war. Dass es sich um eine Tat handelte, die sich nicht rückgängig machen ließ.
    Sie ließ sich nicht rückgängig machen.
    »Neeeeiiin!!!«, schrie sie, und Mogens wusste, dass es bis zu den Nachbarn zu hören war, auch wenn dieses große Haus dicke Mauern hatte und die Hecken um das Grundstück hoch waren. Als sie in die Straße eingebogen waren, hatte er hinter den Klippen das Meer schimmern sehen. Wer die Straße entlangging, hatte Meerblick. Bis zum Strand waren es nur wenige Hundert Meter. Im Lauf der Jahre war er häufig mit dem Rad daran vorbeigefahren. So sah es also hier oben aus. Er hatte zu den großen Häusern hinaufgespäht. Einige wirkten wie Schlösser, so unnahbar, es roch nach altem Geld, und nach einigem neuen Geld, vielleicht eine Mischung aus beidem. Trotzdem unerreichbar für ihn, er war ein einfacher Bote für die Mitbürger, häufig für die ganz einfachen.
    Aber jetzt war er hier.

3
    M artin Barkner telefonierte mit seiner Mutter. Er weinte. Jetzt war er ein kleiner Junge. Hätte immer einer bleiben sollen. Er hätte nie Mädchen treffen sollen. Vielleicht hatte sie ihn gewarnt. Edlund war von seiner Mutter gewarnt worden.
    »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht«, sagte Martin Barkner.
    Sverker Edlund konnte ihre Stimme durch das Telefon hören, den ganzen Weg vom Rand des Mittelmeeres bis hierher. Sie klang nicht aufgeregt, aber das war bei einer so großen Entfernung nicht auszumachen.
    »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht!«
    Barkner senkte den Hörer und streckte ihn Edlund mit zitternder Hand entgegen.
    »Sie möchte mit Ihnen sprechen.«
    Edlund nahm den Hörer und stellte sich vor.
    »Hier ist Linnea Barkner«, sagte sie. »Was hat Martin getan?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Edlund.
    »Ihnen ist doch wohl klar, dass Martin zu so etwas nie imstande wäre … was Sie glauben.«
    Edlund antwortete nicht.
    »Das ist doch der totale Wahnsinn. Sie rufen

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