Der letzte Winter
ungefähr.«
Edlund nickte.
»Sie brauchen die Schachtel im Badezimmerschrank ja nur zu überprüfen«, sagte Barkner.
Edlund nickte wieder. Er versuchte, Barkners Blick festzuhalten. Diesmal gelang es ihm.
»Stimmt was nicht?«, fragte Barkner.
Edlund antwortete nicht.
»Was ist?«
»Könnte sich diese Schachtel auch irgendwo anders befinden?«, fragte Edlund.
»Ist sie nicht da?«
Edlund schwieg.
»Dann … dann muss sie woanders sein. Vielleicht runtergefallen? Oder in meinem Necessaire. Wahrscheinlich. Manchmal liegt sie da.«
Edlund nickte. »Wir werden weitersuchen.«
»Ich weiß, dass noch welche da waren!«, sagte Barkner.
Aber Madeleine ist nicht mehr da, dachte Edlund. Darüber reden wir doch eigentlich. Warum sie nicht mehr da ist.
»Wann sind Sie eingeschlafen?«
»Das haben Sie mich doch schon mal gefragt?«
»Versuchen Sie, die Frage zu beantworten.«
»Wer weiß denn, wann er einschläft? Kennen Sie jemanden, der darauf antworten kann? Man liegt doch nicht mit der Uhr in der Hand da, um zu kontrollieren, wann man einschläft!«
»Haben Sie im Lauf der Nacht auf die Uhr geschaut?«
»Nein.«
»Sie wissen also nicht, ob Sie nach Mitternacht eingeschlafen sind?«
»Nein … Doch, ich glaube, es war nach Mitternacht.«
»Woher wissen Sie das, Herr Barkner?«
»Ich habe eine Uhr schlagen hören.«
»Eine Uhr? Kirchturmuhr?«
»Nein, aus der Wohnung über uns. Glaube ich. Dort wohnt eine alte Dame. Wir hören ihre Uhr schlagen. Eine alte Wanduhr oder so was. Wir sind nie da oben gewesen.«
Er sagt noch immer »wir«, dachte Edlund. Er hat es noch nicht realisiert.
»Wie laut das Uhrschlagen wirkt, wenn es rundum still ist«, sagte Barkner. Seine Stimme klang fast erstaunt.
Winter stand neben der Leiche. Sie bewegte sich jetzt auf den Strand zu, lag fast auf dem Sand. Ein Mann, formell gekleidet, dunkler Anzug, weißes Hemd, weißer Schlips. Das trägt man zur Beerdigung eines nahestehenden Menschen, dachte Winter. Er hat sich selbst bestattet, aber auf dem Meer. Das Haar hatte dieselbe Farbe wie der nasse Sand an seiner Wange. Die Schuhe waren noch an seinen Füßen.
Winter nahm sein Handy aus der Jackentasche und wählte die Nummer der Fahndung. Seines Wissens hatte Bertil heute Dienst.
Kriminalkommissar Bertil Ringmar meldete sich. Er hatte nur noch wenige Jahre bis zu seiner Pensionierung. Viele Jahre war er wie ein Ersatzvater für Winter gewesen. Heute nannte man das Mentor, aber die Bezeichnung war noch nicht erfunden, als Winter bei der Fahndung angefangen hatte.
»Hallo, Bertil.«
»Hast du heute nicht frei, Junge?«
»Das hab ich auch gedacht.«
»Was ist passiert?«
»Hier ist eine Leiche angetrieben worden.«
»Wo?«
»Willst du nicht erst nach der Leiche fragen?«
»Ist es ein Bekannter?«
»Nein.«
»Wo bist du?«
»An meinem eigenen Strand. Mit der Familie. Ein Ausflug. Elsa und ich haben Steine hüpfen lassen, und sie hat die Leiche als Erste in der Bucht entdeckt.«
»Oh, Scheiße.«
»Und jetzt liegt sie direkt zu meinen Füßen. Ich fürchte, es handelt sich um Mord. Ich sehe verdächtige Verletzungen am Hals.«
»Man ist aber auch nirgendwo sicher«, sagte Ringmar.
»Nein.« Winter legte eine Pause ein. Der Körper vor ihm bewegte sich. Er stieß gegen das Ufer. Es war eine Szene aus der neuen Entwicklungslehre. Die Toten stoßen gegen das Ufer, erheben sich und beginnen zu gehen. Dieser Tote hatte Schuhe an den Füßen. Er war korrekt gekleidet. Er könnte einfach zum nächsten Friedhof wandern. Winter war nicht ganz sicher, welcher der nächste war.
»Er hat noch nicht lange im Wasser gelegen. Und er ist anscheinend auf einer Beerdigung gewesen. Kannst du die Beerdigungen ermitteln, die kürzlich in der Stadt stattgefunden haben?«
»Ich habe es nicht getan. Begreifen Sie das denn nicht, ich war es nicht! Ich habe sie nicht umgebracht! Warum sollte ich sie ermorden? Können Sie mir das erklären? Wie? Aus welchem Grund sollte ich sie umbringen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Edlund.
»Genau, es gibt keinen Grund! Es gibt keinen einzigen verdammten Grund!«
»Hatten Sie an dem Abend Besuch?«
»Das haben Sie schon einmal gefragt.«
»Ich stelle die Frage noch einmal.«
»Nein, wir hatten keinen Besuch.«
»Hat jemand den Schlüssel zu Ihrer Wohnung?«
»Nein … ja, doch, Madeleines Mutter.«
»Sie hat einen Schlüssel zu Ihrer Wohnung?«
»Ja. Ich wollte es nicht, aber es war Madeleines Wunsch. Ich wollte es nicht.«
»Ist das
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