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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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dem Kinn entblößt. Winter bemerkte blaue Flecken, die sich wie eine Kette um den Hals zogen. Blutunterlaufene Stellen. Er vermutete, dass es sich um Einblutungen handelte, die das Opfer sich zugezogen hatte, als der Blutdruck gestiegen war und die Blutgefäße zum Kopf abgeschnürt worden waren, das Zungenbein gebrochen und der Mann erstickt war. Vielleicht. So muss es sich zugetragen haben, dachte er, aber er konnte nicht sicher sein. Es könnte sich auch um einen außergewöhnlichen Unfall handeln. Vielleicht war es Selbstmord. Zum ersten Mal befand er sich als Erster an einem Fundort. Er war Zeuge. Ich bin nicht nur Kriminalkommissar, ich bin auch Zeuge. Diesmal kein nächtlicher Anruf bei ihm zu Hause. Er war der Zeuge. Die Arbeit rückte unangenehm nah.
    Er ging zu seiner Familie. Angela hatte Schwierigkeiten, Lilly in dem Kindersitz auf dem Beifahrersitz des Mercedes festzuschnallen. Lilly wollte ihren Strand nicht verlassen. Sie verstand es nicht. Niemand hatte es ihr erklärt.
    »War es ein Zombie?«, fragte Elsa vom Rücksitz. Sie wirkte nicht besonders neugierig. Sie wollte es nur wissen. Winter fragte sich, wie viel sie eigentlich von seiner Arbeit wusste.
    »Was ist das denn für eine Sprache?«, sagte Angela. »Wo hast du das Wort gelernt?«
    »Nirgends«, antwortete Elsa.
    »Es ist jemand, der nicht mehr lebt«, sagte Winter.
    »Ist er ertrunken?«, fragte Elsa.
    »Das weiß ich nicht, Mäuschen.«
    »Warum ist er in unsere Bucht getrieben worden?«
    »Ich weiß es auch nicht.« Angela streichelte dem Kind über die Wange. »Er hätte überall entlang der Küste angetrieben werden können. Nun ist er zufällig bei uns angekommen. Er kann sich wer weiß wo verletzt haben.«
    »Können wir jetzt nie mehr hierherkommen?«
    »Doch, klar, später, es geht nur eine Weile nicht.«
    »Vielleicht will ich nie wieder hierher«, sagte Elsa. Aber sie sah nicht so aus, als würde sie es ernst meinen. Sie wollte es nur testen.
    »Ich weiß auch nicht, ob ich das will«, sagte Angela. Auch sie testete. Er sah, dass keine von beiden es ernst meinte. »Jedenfalls eine Weile nicht.«
    »Was passiert jetzt?«, fragte Elsa.
    »Wie meinst du das?«, fragte Winter zurück.
    »Was machst du jetzt? Mit dem Zombie … Mit dem, der da unten liegt.«
    Sie zeigte den Abhang hinunter. Man sah vertrocknetes Gras, Klippen und einen Ausschnitt vom Meer, aber keinen Zombie. Kein Treibholz, dachte er.
    »Wir werden uns um ihn kümmern«, sagte Winter.
    »Findest du den, der das getan hat?«
    »Wen meinst du?«
    »Den Mörder.«
    Angela zuckte zusammen, und auch Winter musste schlucken.
    »Ist er wirklich tot, Papa?«, fragte Elsa.
    Lilly schien aufmerksam zuzuhören. Sie hatte sich beruhigt und beugte sich mit konzentrierter Miene in ihrem Kindersitz vor. Himmel, was für eine Familie, was für ein Gesprächsthema.
    »Nein, jetzt fahren wir.« Angela setzte sich hinter das Steuer.
    »Wann bauen wir eigentlich unser Haus?«, fragte Elsa.
    Die Spurensicherung kam um die Mittagszeit an, wenn man etwas später Mittag aß. Aber im Augenblick aß niemand etwas. Winter verspürte keinen Appetit, auch nicht auf ein Picknick. Die Familie hatte Pan bagnat und noch so einiges eingepackt, Tikka-Hähnchen auf Frischkäse, Zitronenschnitten, aber Angela hatte alles wieder mit in die Stadt genommen. Er hatte den Kopf geschüttelt, als sie auf den Korb gezeigt hatte. Ich esse etwas, wenn ich nach Hause komme.
    Der Tote lag jetzt an Land. Er sah aus wie ein Schlafender in nassem Anzug. Als wäre er bei Regen eingeschlafen. Der Mann in dem nassen Anzug. Der Anzug mochte schwarz oder dunkelblau sein. Die Marke konnte Winter erst erkennen, wenn das Sakko ausgezogen war, vielleicht ein Oscar Jacobson. Da war etwas mit dem Revers.
    Håkan Wendelberg hockte sich hin und beugte sich über die Leiche. Er war neu bei der Spurensicherung, und der Kollege Bengt Rahm war auch einer der neuen jungen Leute. Wendelberg war nicht mehr ganz so jung, ein Veteran aus Uddevalla. Er kannte das Meer. Er hatte schon viele Leichen aus dem Wasser gefischt. Aber er wirkte nicht blasiert.
    »Gut gekleidet.« Er schaute zu Winter auf. »Als wäre er auf einer Beerdigung gewesen.«
    »Das ist mir auch schon durch den Kopf gegangen«, sagte Winter. »Oder er war auf dem Weg zu einer Beerdigung.«
    »Hm.« Wendelberg musterte den Toten wieder. »Wann sonst trägt man noch einen Schlips?«
    »Die nächsten Angehörigen eines Verstorbenen tragen einen weißen Schlips.«
    Wendelberg

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