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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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hinauszuzögern?
    »Wenn es eine Verzögerung war«, fuhr Ringmar fort. »Der Versuch einer Verzögerung.«
    »Vielleicht hat Dahlquist seine Brieftasche im Wasser verloren.«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Das wäre zu einfach. Außerdem fällt eine Brieftasche, die in einer Innentasche steckt, nicht heraus. Die bleibt da drin.«
    »Vielleicht hatte er gar keine«, sagte Winter.
    »Nein.«
    »Nein was?«
    »Das ist auch zu einfach. Jeder trägt eine Art Identifikation bei sich.«
    »Ach?«
    »In diesem Land ist es Pflicht. So sind wir erzogen.«
    »Geprägt«, sagte Winter. »So sind wir geprägt.«
    »Okay, geprägt. Man verlässt das Haus nicht ohne seine Papiere.«
    »Vielleicht hat er das Haus ohne Mantel verlassen«, sagte Winter. »Oder er hatte einen an, und der ist verschwunden.«
    »Ohne Mantel war es ziemlich kühl.«
    »Es war ein schöner Tag, ein Sakko-Tag, mit etwas gutem Willen.«
    »Vielleicht brauchte er keine Oberbekleidung«, sagte Ringmar. »Er war an einem Ort, wo er keine brauchte.«
    »Innerhalb eines Hauses?«
    »Genau.«
    »Dann hängt sein Mantel irgendwo an einem Haken oder einer Garderobe.«
    »Vielleicht.«
    »Mit einer Brieftasche in der Innentasche.«
    »Möglich.«
    »Oder er hat den Mantel draußen abgelegt. Oder der Mörder hat ihn mitgenommen.«
    Sie praktizierten ihre Methode, ein Assoziationsspiel, bei dem jeder Gedanke ausgesprochen wurde, der ihnen durch den Kopf ging, ohne Vorbereitung oder Verzögerung. Ohne Ehrgeiz. Als würden sie einen Text laut vorlesen. Das war häufig hilfreicher als stummes Nachdenken.
    »Das Verbrechen war nicht geplant«, sagte Winter.
    »Nein.«
    »Es hat sich so ergeben.«
    »Als sie hinausgingen.«
    »Als sie hinausgingen, um ein bisschen Luft zu schnappen.«
    »Im Meereswind. Um das Meer zu sehen. Um die Sonne aufgehen zu sehen.«
    »Oder den Sonnenuntergang.«
    »Das ist auch möglich. Aber im Dezember liegt viel Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.«
    »Unser Mann hat seinen letzten Sonnenaufgang vielleicht gar nicht mehr gesehen«, sagte Winter.
    »Vielleicht wusste er es«, sagte Ringmar.
    »Er war ungefähr vierundzwanzig Stunden tot, als ich ihn fand.«
    »Wie lange hat er im Wasser gelegen?«
    »Das wissen wir nicht. Womöglich, seit er umgebracht wurde. Auf jeden Fall mehrere Stunden, zwölf Stunden, vielleicht auch vierundzwanzig.«
    »Er war kein Segler«, sagte Ringmar.
    »Er besaß kein Segelboot«, sagte Winter. »Das ist alles, was wir wissen.«
    Ringmar kratzte sich wieder an der Stirn. Winter sagte nichts. Auch er spürte erneut einen psychosomatischen Juckreiz über dem Auge, widerstand jedoch dem Impuls, sich zu kratzen.
    »Das Verbrechen war geplant«, sagte Ringmar.
    »Ja.«
    »Seit langem geplant.«
    »Irgendwas in seinem Bekanntenkreis.«
    »Der war nicht groß«, sagte Ringmar.
    »Er existierte gar nicht«, sagte Winter.
    »Unser Mann war ein einsamer Mensch.«
    »Das wissen wir noch nicht.«
    »Unser Mann führte ein geheimes Leben.«
    »Ja.«
    »Er kannte viele Menschen. Makler haben viele Kunden«, sagte Ringmar.
    »Müssen wir dort suchen?«
    »Halders’ Linie. Dass er Schrott verkauft hat, und jemand wollte sich dafür rächen.«
    »Wohnungen, er hat Wohnungen verkauft«, sagte Winter.
    »Ist doch dasselbe.«
    »Wir müssen uns die Geschäfte vornehmen, die er in der letzten Zeit gemacht hat.«
    »Ich glaube, Aneta ist im Augenblick in dem Maklerbüro.«
    »Die eventuelle Familie unseres Mannes«, sagte Winter.
    »Warum nennen wir ihn eigentlich dauernd ›unseren Mann‹?«
    »Ich weiß es nicht, Bertil.«
    »Wir nennen ihn Dahlquist, das fühlt sich besser an.«
    »Dahlquist. Er verlässt seine Arbeitsstelle und verschwindet.«
    »Er hatte genug.«
    »Er will was anderes machen.«
    »Er sagt nicht, was.«
    »Niemand fragt.«
    »Niemand ist interessiert.«
    »Hat den Scheiß satt. Er hat den Scheiß satt.«
    »Die Kollegen. Die Arbeit. Die Kunden.«
    »Hat alles satt.«
    »Ein anderer hat noch mehr satt«, sagte Ringmar, »nämlich ihn.«
    Winter stand auf. Versuchte die Schultern zu straffen, den Rücken. Er wurde langsam krumm. Saß zu viel. Zu wenig Bewegung. Er sollte jeden Tag Rad fahren, unabhängig vom Wetter. Das war Bewegung gratis, so wie das Workout der Polizei gratis war, aber wer ertrug schon Workout .
    »Mist, dass alles immer so viel Zeit braucht«, sagte er. »Ich habe das so satt.«
    »Es muss dauern«, sagte Ringmar. »Das bleibt uns nicht erspart, oder? Und in fast allen Fällen ist

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