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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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einige Lithographien, an der hinteren Wand ein Kunsthandwerk aus Stoff, in dem fast alle Farben des Raumes wiederkehrten. Im Übrigen dominierten die Farben des Meeres. Der Raum passte sich dem Meer an. Jetzt war es ruhig, still und maßvoll. Im Sommer muss es hier ungeheuer hell sein, dachte Edlund. Als befände man sich mitten in der Sonne. Von irgendwoher hörte er Geräusche, vielleicht aus der Küche. Lentners Frau, Ann, war nicht zu Hause. Edlund wusste nicht, warum, hatte nur Bescheid bekommen, dass sie abwesend sein würde. Er selber hatte nicht mit ihr gesprochen, Bent hatte sich kurz mit ihr unterhalten. Ihr Mann hatte bei der Begrüßung keinerlei Gemütsregung gezeigt. Als handele es sich um eine beliebige Angelegenheit, einen Beliebigen. Vielleicht war der Mann verrückt. Der Wahnsinn hatte sich von Generation zu Generation weiter vererbt. Lentner kehrte mit einem Tablett zurück, das er auf der gläsernen Tischplatte absetzte.
    »Ich hab’s nicht geschafft, zum Bäcker zu gehen«, sagte er und wies mit dem Kopf auf ein paar dünne Scheiben Hefezopf, die auf einem Teller neben zwei Tassen mit dampfendem Kaffee lagen.
    »Danke, mir genügt Kaffee«, antwortete Edlund.
    Lentner beugte sich vor und hob eine Kaffeetasse an. Seine Hand begann zu zittern. Sie zitterte, zitterte. Er konnte die Tasse nicht absetzen und starrte wie gebannt darauf. Er ließ sie fallen. Sie schlug mit einem schweren, bösartigen Geräusch auf dem Tablett (aus Silber?) auf, zerbrach aber nicht. Der Kaffee spritzte über den Tisch, bespritzte Lentner, das graue Sofa, auf dem er saß. Lentners Hände zitterten immer noch. Er sah Edlund mit plötzlich hilflosem Ausdruck an. Irgendwo klingelte ein Telefon. Es hörte überhaupt nicht auf zu klingeln. Lentner zitterte, es sah aus wie der Beginn eines epileptischen Anfalls, bei dem sich nur Hände und Arme unkontrolliert bewegen, vielleicht noch der Kopf. Der Kaffee war ihm bis an die Stirn gespritzt und floss in einem kleinen Rinnsal zwischen seinen Augen herunter. Er sah seinem Sohn ähnlich. Der Sohn sah ihm ähnlich. Jetzt sehe ich es. Dieser Ausdruck totaler Verlassenheit. Das fällt mir erst jetzt auf. Das Telefon klingelte wieder, es klang nach mehreren Telefonen, die gleichzeitig und in verschiedenen Stockwerken klingelten.
    Lentners Zittern ließ nach.
    »Was kann ich tun?«, fragte Edlund.
    Lentner antwortete nicht. Er schien es nicht gehört zu haben, betrachtete das Tablett, auf dem die Tasse immer noch hin und her rollte. Es war merkwürdig. Jetzt hatte der Kaffee von seiner Stirn die Lippen erreicht. Er leckte ihn nicht ab. Sein Gesicht war wie erstarrt. Seine Muskeln und Nerven zuckten nicht mehr. Edlund erhob sich und ging in die Richtung, in die er vorher Lentner hatte gehen sehen, zu der Tür im Norden. Dahinter war eine Küche, die fast genauso groß war wie das Wohnzimmer. Auf einer Arbeitsplatte sah Edlund eine Papierrolle. Damit kehrte er in den großen Raum zurück. Lentner hatte sich nicht gerührt. Edlund riss Blätter von der Rolle und tupfte das Gesicht des Mannes ab, der plötzlich wie ein Hundertjähriger aussah. Seine Haut fühlte sich an wie Pergament. Edlund wischte seine Lippen ab. Pflegedienst. Vor Äonen von Jahren hatte er im Pflegedienst gearbeitet. Hatte Kaffee und Scheiße abgewischt. Jetzt wischte er die Tischplatte ab und das Tablett. Den Flecken auf dem Sofa war mit Haushaltspapier nicht beizukommen. Lentner starrte mit leerem Blick vor sich hin. Seit Edlund gekommen war, war er ein anderer geworden, ein ganz und gar anderer. Vielleicht findet er nie zurück, dachte Edlund. Das verdammte Telefon klingelte wieder.
    »Vielleicht ist er es«, sagte Lentner und schaute auf.

11
    W inter war kein Unbekannter in dem Immobilienbüro, glaubte jedoch nicht, dass sich jemand an ihn erinnerte. Hier hatte er das Strandgrundstück erworben. Nun ja, er – sie waren zu zweit gewesen. Angela hatte von dem Licht gesprochen, das in der blauen Stunde vom Meer hereinfließen würde, mitten ins Wohnzimmer. Hinterher waren sie in die Parkbar gegangen und hatten allein in den Ledersesseln gesessen, in der blauen Stunde. Er hatte sie im Stich gelassen. Sie hatte von einem Haus gesprochen, das es einmal geben sollte, das es aber noch immer nicht gab. Daran dachte er, während er mit dem Fahrrad über Heden zur Avenyn fuhr. Der Himmel über ihm war blau, in diesem Dezember gab es nur blaue Stunden. Es waren knapp unter null Grad. Man konnte immer noch mit dem Rad fahren.

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