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Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

Titel: Der letzte Wunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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sie lächelte, doch er war sich nicht sicher – sie war zu weit entfernt.
    »Sei gegrüßt«, sagte er und hob eine Hand zu einer freundschaftlichen Geste. Er ging einen Schritt auf das Mädchen zu. Sie verfolgte mit einer leichten Kopfdrehung seine Bewegung. Ihr Gesicht war bleich, die Augen schwarz und groß. Das Lächeln – wenn es eins war – verschwand von ihrem Gesicht wie weggewischt. Geralt tat noch einen Schritt. Die Blätter begannen zu rascheln. Das Mädchen lief wie ein Reh über den Hang, huschte zwischen dem Gewirr des Windbruchs hindurch; sie war nur noch ein weißer Fleck, als sie in den Tiefen des Waldes verschwand. Das lange Kleid schien ihre Bewegungsfreiheit nicht im Mindesten einzuschränken.
    Die Stute des Hexers begann mit hochgerissenem Kopf krampfhaft zu schnauben. Geralt, der immer noch zum Wald hin blickte, beruhigte sie instinktiv mit dem 
Zeichen
. Er zog das Pferd am Zügel mit sich und ging langsam weiter die Mauer entlang, bis zum Gürtel in Klettensträuchern versinkend.
    Das Tor, solide, eisenbeschlagen und auf rostigen Angeln, war mit einem großen Türklopfer aus Messing versehen. Nachdem er einen Augenblick gezögert hatte, streckte Geralt die Hand aus und berührte den grünspanbedeckten Ring. Sofort sprang er zurück, denn augenblicklich ging das Tor auf, wobei es quietschte, knirschte, Grasbüschel und Steine beiseiteschob. Dahinter war niemand – der Hexer sah nur den leeren Gutshof, der sich verwahrlost und grasüberwachsen zeigte. Er trat ein und zog das Pferd hinter sich her. Die von dem 
Zeichen
 betäubte Stute widersetzte sich nicht, setzte die Hufe aber steif und unsicher.
    Von drei Seiten umgaben den Hof Mauern und die Reste von Holzgerüsten, die vierte Seite bildete die Vorderfront eines Schlösschens, von Flecken herabgefallenen Putzes, schmutzigen Regenstreifen und Efeugirlanden wie von einem bunten Ausschlag bedeckt. Die Fensterläden, von denen die Farbe abblätterte, waren geschlossen. Die Tür auch.
    Geralt warf Plötzes Zügel über einen Pfosten am Tor und ging langsam einen Kiesweg entlang auf das Schlösschen zu, vorbei an der niedrigen Schale eines kleinen Springbrunnens voller Laub und Unrat. In der Mitte des Brunnens prangte auf einem Phantasiesockel ein aus weißem Stein gehauener Delphin, der den bröckligen Schwanz emporreckte.
    Neben dem Brunnen wuchs auf etwas, was vor sehr langer Zeit ein Beet gewesen sein mochte, ein Rosengestrüpp. Von allen anderen Rosenbüschen, die Geralt zu Gesicht bekommen hatte, unterschied es sich nur durch die Farbe der Blüten. Die Blüten waren indigofarben, mit einem leichten Purpurton an den Enden mancher Blütenblätter. Der Hexer berührte eine, brachte das Gesicht näher heran, schnupperte. Die Blüten hatten den für Rosen üblichen Geruch, nur etwas intensiver.
    Die Tür des Schlösschens – und mit ihr alle Fensterläden – schlug krachend auf. Geralt riss den Kopf hoch. Auf dem Weg kam, den Kies aufwirbelnd, geradewegs auf ihn zu ein Ungeheuer gerannt.
    Die rechte Hand des Hexers fuhr blitzschnell hinauf über seine rechte Schulter, und gleichzeitig riss die linke kräftig an dem über die Brust laufenden Gurt, so dass ihm der Schwertgriff von selbst in die Hand sprang. Die Klinge glitt zischend aus der Scheide, beschrieb einen kurzen funkelnden Halbkreis und erstarrte, auf das angreifende Biest gerichtet. Angesichts des Schwertes verlangsamte das Ungeheuer seinen Lauf, blieb stehen. Der Kies wurde nach allen Seiten geschleudert. Der Hexer zuckte nicht einmal.
    Das Ungeheuer war von Menschengestalt, in vernachlässigte, aber gute Sachen gekleidet, denen es nicht an geschmackvollen, wenngleich ganz funktionslosen Verzierungen fehlte. Die Menschengestalt reichte jedoch nicht höher als bis zum angeschmutzten Rockkragen – denn darüber erhob sich ein gewaltiger, wie bei einem Bären zottig behaarter Kopf mit riesigen Ohren, einem Paar wilder Glotzaugen und einer furchterregenden Schnauze voller krummer Hauer, in der wie eine Flamme eine rote Zunge zuckte.
    »Hinfort, sterblicher Mensch!«, brüllte das Ungeheuer und fuchtelte mit den Pfoten, ohne sich indes von der Stelle zu rühren. »Sonst fress ich dich! Ich reiß dich in Stücke!«
    Der Hexer regte sich nicht, senkte nicht das Schwert.
    »Bist du taub? Hinfort!«, donnerte das Geschöpf, worauf es einen Laut ausstieß, der halbwegs zwischen dem Quieken eines Wildschweins und dem Röhren eines Hirsches lag. Die Läden an allen Fenstern begannen zu

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