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Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

Titel: Der letzte Wunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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die Lichtung, musterte herabgeneigt aufmerksam den Boden und sah sich um.
    »So, Plötze«, sagte er leise und hielt das Pferd an. »Der Fall ist klar, wenn auch nicht völlig. Der Plattner und die Frau sind von der anderen Seite des Waldes geritten gekommen. Zweifellos waren sie von Murivel unterwegs nach Hause, denn niemand trägt längere Zeit uneingelöste Kreditbriefe bei sich. Warum sie hier entlang und nicht auf der Straße geritten sind, ist unbekannt. Aber sie sind Seite an Seite über die Lichtung geritten. Und dann sind beide, ich weiß nicht, warum, abgestiegen oder vom Pferd gefallen. Der Plattner war sofort tot. Die Frau lief weg, fiel dann hin und kam auch um, und jenes Ding, das keine Spuren hinterlassen hat, zerrte sie mit den Zähnen an der Kehle über den Boden. Das war vor zwei oder drei Tagen. Die Pferde sind weggelaufen, wir werden sie nicht suchen.«
    Die Stute antwortete natürlich nicht, sie schnaubte unruhig, denn sie kannte den Ton der Stimme.
    »Das Ding, das die beiden umgebracht hat, war weder ein Werwolf noch ein Waldschrat. Weder der eine noch der andere hätte so viel für die Aasfresser übriggelassen. Wenn es hier Sümpfe gäbe, würde ich sagen, es war eine Kikimora oder ein Vipper. Aber hier gibt es keine Sümpfe.«
    Zurückgeneigt schob der Hexer die Decke etwas zurück, die die Flanken des Pferdes bedeckte und das an den Satteltaschen befestigte andere Schwert mit der blitzenden verzierten Klinge und dem schwarzen gekerbten Griff verbarg.
    »So, Plötze. Wir setzen den Weg fort. Wir müssen herausfinden, warum der Plattner und die Frau durch den Wald geritten sind statt auf der Straße. Wenn wir derlei Ereignissen gleichgültig aus dem Wege gehen, werden wir nicht einmal den Hafer für dich verdienen, nicht wahr, Plötze?«
    Die Stute setzte sich gehorsam in Bewegung, durch den Windbruch, und stieg dabei vorsichtig über aufragende Äste.
    »Obwohl es kein Werwolf ist, wollen wir nichts riskieren«, fuhr der Hexer fort, nahm aus einer Satteltasche ein getrocknetes Sträußchen Eisenhut und hängte es neben die Gebissstange. Die Stute schnaubte. Geralt band das Wams am Halse etwas auf und holte das Medaillon mit dem aufgerissenen Wolfsrachen hervor. Das Medaillon wippte an seiner silbernen Kette im Schrittrhythmus des Pferdes und blitzte in den Sonnenstrahlen wie Quecksilber auf.
    II
    Die roten Schindeln auf dem Kegeldach des Turms erblickte er zuerst vom Gipfel einer Anhöhe aus, auf die er geraten war, als er einen Bogen des kaum überblickbaren Pfades abschnitt. Der von Haselsträuchern bewachsene, von trockenem Astwerk versperrte und von einem dicken Teppich gelber Blätter bedeckte Hang war zum Reiten nicht besonders sicher. Der Hexer kehrte um, ritt vorsichtig wieder hinab und kehrte auf den Pfad zurück. Er ritt langsam, zügelte ab und zu das Pferd und hielt vom Sattel herabgebeugt nach Spuren Ausschau.
    Die Stute zuckte mit dem Kopf, begann wild zu schnauben, auf dem Pfad hin und her zu tänzeln und wirbelte eine Wolke dürrer Blätter hoch. Geralt schlang den linken Arm um den Hals des Pferdes und fuhr mit der zum Zeichen Aksji geformten Hand über die Stirn seines Reittiers, wobei er eine Beschwörung flüsterte.
    »Ist es so schlimm?«, murmelte er und blickte sich um, ohne das Zeichen zu lösen. »So schlimm? Ruhig, Plötze, ruhig.«
    Der Zauber wirkte rasch, doch die mit der Ferse angespornte Stute ging schleppend, stumpf, unnatürlich; sie hatte den elastischen Gangrhythmus verloren. Der Hexer sprang geschickt ab, ging zu Fuß weiter und führte das Pferd am Zügel. Er hatte eine Mauer bemerkt.
    Zwischen der Mauer und dem Wald gab es keinen Abstand, keine sichtliche Lücke. Das Laub von jungem Baumwuchs und Wacholderbüschen mischte sich mit dem von Efeu und wildem Wein, die die steinerne Wand überzogen. Geralt hob den Kopf. Im selben Augenblick spürte er, wie sich ein unsichtbares kleines weiches Etwas an seinem Halse festsaugte, dass sich die Haare sträubten, und zu kriechen begann. Er wusste, was das war.
    Jemand beobachtete ihn.
    Langsam, mit fließenden Bewegungen wandte er sich um. Die Stute schnaubte, die Muskeln an ihrem Halse erzitterten, bewegten sich unter der Haut.
    Auf dem Hang der Anhöhe, von der er vor einem Moment gekommen war, stand reglos ein Mädchen, eine Hand gegen einen Erlenstamm gestützt. Ihr weißes Schleppkleid kontrastierte mit dem schimmernden Schwarz des aufgelösten Haares, das ihr auf die Schultern fiel. Geralt schien es, dass

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