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Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

Titel: Der letzte Wunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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dämmerte. Er hatte Hunger.
    »Geralt«, sagte Stregobor, »als wir Eltibald zuhörten, hatten viele von uns Zweifel. Doch wir beschlossen, das kleinere Übel zu wählen. Jetzt bitte ich dich, dich ebenso zu entscheiden.«
    »Übel ist Übel, Stregobor«, sagte der Hexer ernsthaft und stand auf. »Kleiner, größer, dazwischen, es ist alles eins, die Proportionen sind relativ und die Grenzen verwischt. Ich bin kein heiligmäßiger Einsiedler, ich habe im Leben nicht nur Gutes getan. Aber wenn ich zwischen dem einen und dem anderen Übel wählen soll, dann wähle ich lieber gar nicht. Es ist Zeit für mich. Bis morgen.«
    »Vielleicht«, sagte der Zauberer. »Wenn du rechtzeitig kommst.«

III
    Im »Goldenen Hof«, dem angesehensten Gasthaus des Städtchens, war es voll und laut. Die Gäste, Einheimische und Zugereiste, waren größtenteils mit Tätigkeiten beschäftigt, wie sie für Nationen oder Berufe typisch sind. Gesetzte Kaufleute stritten sich mit Zwergen über Warenpreise und Kreditzinsen. Weniger gesetzte Kaufleute kniffen die Mädchen, die Bier und Kohl mit Erbsen servierten, in den Po. Die Stadttrottel markierten die gut Informierten. Die Dirnen versuchten, den Männern mit Geld zu gefallen und gleichzeitig denen ohne Geld die Lust zu nehmen. Fuhrleute und Fischer tranken, als ob am nächsten Tage der Anbau von Hopfen verboten würde. Die Matrosen sangen ein Lied, das die Meereswellen rühmte, die Kühnheit der Kapitäne und die Vorzüge der Sirenen, Letztere malerisch und detailliert.
    »Streng dein Gedächtnis an, Setnik«, sagte Caldemeyn zum Schankwirt und lehnte sich über die Theke, um durch das Stimmengewirr gehört zu werden. »Sechs Burschen und ein Mädel, in schwarzem Leder mit Silberbeschlägen, Nowigrader Mode. Ich habe sie an der Zollschranke gesehen. Sind sie bei dir abgestiegen oder im ›Thunfisch‹?«
    Der Wirt runzelte die gewölbte Stirn und wischte einen Humpen an der gestreiften Schürze ab. »Hier, Schulze«, erklärte er schließlich. »Haben gesagt, sie kommen zum Jahrmarkt, aber alle mit Schwertern, sogar das Mädchen. In schwarzem Leder, wie Ihr sagt.«
    »Gut.« Der Schulze nickte. »Wo sind sie jetzt? Ich sehe sie hier nicht.«
    »Im kleineren Alkoven. Haben mit Gold bezahlt.«
    »Ich gehe allein«, sagte Geralt. »Es hat keinen Sinn, ihnen allen gegenüber daraus einen amtlichen Vorgang zu machen, jedenfalls vorerst. Ich bringe das Mädchen her.«
    »Ist vielleicht besser so. Aber pass auf, ich will hier keinen Zwischenfall.«
    »Ich passe auf.«
    Das Lied der Matrosen, nach der zunehmenden Sättigung mit schmutzigen Ausdrücken zu schließen, näherte sich dem großen Finale. Geralt schob die Portiere ein Stück beiseite, die den Zugang zum Alkoven verdeckte und vor Schmutz steif und klebrig war.
    Am Tisch im Alkoven saßen sechs Männer. Das Mädchen, das er hier vermutet hatte, war nicht dabei.
    »Was ist?«, blaffte der, der ihn zuerst bemerkte, ein Kahlkopf, dessen Gesicht von einer Narbe verunstaltet wurde, die über die linke Braue, den Nasenrücken und die rechte Wange lief.
    »Ich will mit der Würgerin reden.«
    Vom Tisch erhoben sich zwei übereinstimmende Gestalten mit völlig gleichen reglosen Gesichtern, hellem, bis auf die Schultern reichendem Haar, in gleichermaßen engen Anzügen aus schwarzem Leder, auf dem silberne Beschläge glänzten. Mit gleichartigen Bewegungen hoben die Zwillinge zwei gleichartige Schwerter von der Bank auf.
    »Ruhig, Vyr. Setz dich, Nimir«, sagte der Mann mit der Narbe, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt. »Mit wem willst du also reden, Bruder? Wer ist die Würgerin?«
    »Du weißt genau, wen ich meine.«
    »Was ist das für einer?«, fragte ein halbnackter, schweißtriefender Kraftprotz mit auf der Brust gekreuzten Gurten und Unterarmschützern aus Ringen. »Kennst du ihn, Nohorn?«
    »Nein«, sagte der Mann mit der Narbe.
    »Das ist irgend so ein Albino«, kicherte ein feingliedriger dunkelhaariger Mann, der neben Nohorn saß. Die feinen Gesichtszüge, die großen schwarzen Augen und die spitz zulaufenden Ohren verrieten ihn untrüglich als Elfenmischling. »Ein Albino, ein Mutant, eine Laune der Natur. Dass so einer in die Schenken unter anständige Leute gehen darf!«
    »Ich habe ihn schon irgendwo gesehen«, sagte ein untersetzter, sonnenverbrannter Kerl mit zum Zopf geflochtenem Haar und musterte Geralt böse aus zusammengekniffenen Augen.
    »Es ist egal, wo du ihn gesehen hast, Tavik«, sagte Nohorn. »Also hör zu,

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