Der letzte Wunsch
davon aus, dass nur sie seziert wurden?«
»Nicht nur. Schau mich nicht so an, du weißt genau, dass es noch mehr Leichen gegeben hat. Ursprünglich war entschieden worden, sie alle zu eliminieren. Wir haben ... ein reichliches Dutzend beseitigt. Alle wurden seziert. Eine viviseziert.«
»Und ihr Hundesöhne wagt es, die Hexer zu kritisieren? Stregobor, es kommt der Tag, an dem die Leute zur Vernunft kommen und euch an den Kragen gehen.«
»Ich glaube nicht, dass so ein Tag bald kommt«, erklärte der Zauberer geduldig. »Vergiss nicht, dass wir ausschließlich zum Schutze der Menschen gehandelt haben. Die Mutantinnen hätten ganze Landstriche im Blut ersäuft.«
»Das behauptet ihr Magier, die ihr die Nase so hoch tragt, dass sie sogar euren Heiligenschein der Unfehlbarkeit überragt. Wenn schon die Rede davon ist – du wirst doch wohl nicht behaupten, dass ihr euch bei eurer Jagd auf die angeblichen Mutantinnen kein einziges Mal geirrt hättet?«
»Na gut«, sagte Stregobor nach längerem Schweigen. »Ich will offen sein, obwohl ich es im eigenen Interesse nicht sollte. Wir haben uns geirrt, und mehr als einmal. Es war außerordentlich schwer, sie herauszugreifen. Darum haben wir auch aufgehört, sie ... zu beseitigen, und sie stattdessen isoliert.«
»Eure berühmten Türme«, sagte der Hexer abfällig.
»Unsere Türme. Aber das war auch wieder ein Fehler. Wir haben sie unterschätzt, und viele sind uns entwischt. Unter den Prinzen, vor allem den jüngeren, die nicht viel zu tun und noch weniger zu verlieren hatten, kam so eine irrsinnige Mode auf, die gefangenen Schönheiten zu befreien. Zum Glück haben sich die meisten den Hals gebrochen.«
»Soviel ich weiß, sind die Gefangenen in den Türmen bald gestorben. Es heißt, ihr habt dabei nachgeholfen.«
»Lüge. Sie sind aber tatsächlich schnell in Apathie verfallen, haben die Nahrung verweigert ... Auffällig ist, dass sie kurz vor dem Tode hellseherische Fähigkeiten offenbarten. Noch ein Beweis für die Mutation.«
»Von diesen Beweisen ist einer immer unglaubwürdiger als der andere. Hast du nicht noch mehr?«
»Hab ich. Silvena, die Herrin auf Narok, an die wir nie auch nur herangekommen sind, weil sie sehr schnell die Macht übernommen hat. Jetzt geschehen in dieser Gegend furchtbare Dinge. Violka, die Tochter Evermirs, ist mit Hilfe eines aus ihrem Zopfe geflochtenen Seils geflohen und terrorisiert jetzt das Nördliche Velhad. Berenike von Talgar hat so ein dämlicher Prinz befreit. Jetzt sitzt er geblendet im Kerker, und was man in der Landschaft von Talgar am häufigsten sieht, ist der Galgen. Es gibt noch mehr Beispiele.«
»Gewiss«, erwiderte der Hexer. »In Jarmulak zum Beispiel herrscht der alte Abrad, er hat Skrofeln, aber keinen einzigen Zahn, er ist wohl an die hundert Jahre vor jener Sonnenfinsternis geboren worden, aber er kann nicht einschlafen, wenn nicht jemand vor seinen Augen hingerichtet wird. Er hat sämtliche Verwandten ausgerottet und in, wie du das bezeichnet hast, geradezu unglaublichen Wutanfällen das halbe Land entvölkert. Es gibt auch Anzeichen für aufbrausendes Temperament, in jungen Jahren hat man ihn wohl sogar Abrad den Schürzenjäger genannt. Ach, Stregobor, es wäre schön, wenn man die Grausamkeit von Herrschern mit Mutationen oder Flüchen erklären könnte.«
»Hör zu, Geralt . . .«
»Ich denke gar nicht dran. Du wirst mich von deinen Gründen nicht überzeugen können, erst recht nicht davon, dass Eltibald kein verbrecherischer Irrer war. Kommen wir auf das Ungeheuer zurück, das dich angeblich bedroht. Nach der Einleitung, die du gegeben hast, sollst du wissen, dass mir die Geschichte nicht gefällt. Aber ich will sie mir bis zu Ende anhören.«
»Ohne boshafte Zwischenbemerkungen?«
»Das kann ich nicht versprechen.«
»Je nun« – Stregobor steckte die Hände in die Ärmel seines Umhangs –, »umso länger wird es dauern. Also die Geschichte begann in Creyden, einem kleinen Fürstentum im Norden. Die Gattin Fredefalks, des Fürsten von Creyden, war Aridea, eine kluge, gebildete Frau. Sie hatte viele namhafte Adepten der Schwarzen Kunst in der Familie und hatte, wohl als Erbe, ein ziemlich seltenes und mächtiges Artefakt erworben, einen Spiegel der Nehalennia. Wie du weißt, dienten die Spiegel der Nehalennia größtenteils Propheten und Wahrsagern, denn sie sagten die Zukunft zwar verworren, aber unfehlbar voraus. Aridea wandte sich recht oft an den Spiegel . . .«
»Mit der üblichen
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