Der Leuchtturm am Ende der Welt
der wie hilfesuchend die Hand bewegte.
Verzweifelt irrte Vasquez auf dem Strande hin und her. (S. 115.)
Binnen einer Sekunde stand Vasquez neben ihm.
Der Mann, der hier lag, mochte dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt und schien von recht kräftiger Konstitution zu sein. In Seemannstracht, die Augen geschlossen, lag er da auf der rechten Seite mit keuchendem Atem und von krampfhaften Zuckungen geschüttelt. Er schien übrigens nicht verletzt zu sein, denn seine Kleidung zeigte keine Spur von Blut.
Der Mann, wahrscheinlich der einzige Überlebende von der ›Century‹, hatte Vasquez, als dieser zu ihm kam, nicht bemerkt. Als der Turmwärter ihm aber die Hand auf die Brust legte, machte er einen vergeblichen Versuch, sich aufzurichten, denn er sank vor Schwäche auf den Sand zurück. Wenige Sekunden hielt er jedoch die Augen offen und stöhnend kamen die Worte »Zu Hilfe! Zu Hilfe!« von seinen erblaßten Lippen. Vasquez kniete neben ihm, hob den Armen mit Vorsicht halb auf und lehnte ihn an den Felsen.
»Mut, Mut, guter Freund, redete er ihm zu, ich bin ja da, ich werde euch retten!«
Der Unglückliche vermochte nur die Hand ein wenig auszustrecken, dann verlor er wieder das Bewußtsein. Seine außerordentliche Schwäche erforderte sofort die sorgsamste Pflege.
»Gott gebe, daß es dazu noch nicht zu spät ist!« sagte Vasquez für sich.
Jetzt galt es zunächst, von dem Platze wegzukommen. Jeden Augenblick konnte die Räuberrotte mit dem Boote oder der Schaluppe landen oder auch zu Fuß längs des Ufers kommend hier auftauchen.
»Mut, Mut, guter Freund, ich bin ja da, ich werde euch retten!« (S. 121.)
Vasquez sah ein, daß er den Mann nach seiner Grotte tragen mußte, und er tat das ohne Zögern.
Nach einem gegen hundert Toisen langen Wege verschwand er zwischen den beiden Steinpfeilern, den regungslosen Mann auf dem Rücken, und legte ihn dann auf eine Decke, den Kopf durch ein Bündel Kleidungsstücke gestützt, sorgsam nieder.
Der Schiffbrüchige war noch nicht wieder zu sich gekommen, doch atmete er wenigstens noch schwach. Wenn er auch keine äußern Verletzungen zeigte, so konnte er doch beim Rollen über die Klippen die Arme oder die Beine gebrochen haben. Das fürchtete Vasquez am meisten, da er außer stande gewesen wäre, dagegen genügende Hilfe zu leisten. Er betastete ihn also vorsichtig und machte mit seinen Gliedern einige schwache Bewegungen, und siehe da: der ganze Körper schien unverletzt zu sein.
Vasquez goß ein wenig Wasser in eine Tasse und setzte ihm einige Tropfen Branntwein zu, die sich noch in seiner Feldflasche vorfanden. Das Getränk brachte er dem Schiffbrüchigen zwischen die Lippen. Dann rieb er ihm die Arme und die Brust ab, nachdem er seine durchnäßten Kleider mit andern, in der Höhle der Räuber gefundenen, vertauscht hatte.
Mehr konnte er für ihn vorläufig nicht tun.
Endlich bemerkte er zu seiner größten Freude, daß der Leidende allmählich zum Bewußtsein kam. Diesem gelang es schließlich, sich aufzurichten, und mit einem Blick auf Vasquez, der ihn noch in den Armen hielt, sagte er mit schwacher Stimme:
»Zu trinken!… Etwas zu trinken!«
Vasquez reichte ihm die Tasse mit Wasser und dem Branntweinzusätze.
»Nun, geht es etwas besser? fragte Vasquez.
– Ja… ach ja!« antwortete der Schiffbrüchige.
»Hier?… Ihr?… Wo bin ich?« fuhr er fort, als hätte er seine noch unklaren Erinnerungen an die letzten Ereignisse gesammelt, und schwach drückte er dazu die Hand seines Retters.
Er sprach englisch, eine Sprache, deren Vasquez auch mächtig war, und so erwiderte der Turmwärter:
»Ihr seid in Sicherheit. Ich habe euch nach dem Unfalle der ›Century‹ auf dem Strande gefunden.
– Der ›Century‹?… Ach ja, ich erinnere mich…
– Wie heißt ihr denn, guter Freund?
– Davis… John Davis.
– Wart ihr der Kapitän des Dreimasters?
– Nein, der Obersteuermann. Doch die andern… wie steht’s mit den andern?
– Die sind alle umgekommen, antwortete Vasquez, alle! Ihr seid der einzige, der aus dem Schiffbruche mit dem Leben davongekommen ist.
– Sonst also alle?…
– Alle!«
John Davis erschien bei dieser Mitteilung wie vom Blitze getroffen. Er… der einzige Überlebende!… Und wem verdankte er, einem elenden Tode entrissen zu sein? Es wurde ihm klarer: der Unbekannte, der sich da mit liebevoller Sorge über ihn beugte, der hatte ihm das Leben gerettet.
»Dank… Dank euch! flüsterte er, während eine
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