Der Leuchtturm von Alexandria
Ziegeldach und korinthischen Säulen. Sie machte einen ziemlich verwahrlosten Eindruck; das Dach des einen Flügels war in sich zusammengesackt und mit Stroh abgedeckt. Das gotische Dazien war früher in den lange vergangenen Tagen der großen Kaiser einmal eine römische Provinz gewesen. Vielleicht war diese Villa ein Überbleibsel jener Besetzung.
Von dem Augenblick an, da wir in die Stadt einritten, waren wir von einer großen Menschenmenge umgeben, doch Athanaric schenkte den Leuten keine Beachtung. Er ritt geradewegs auf die Villa zu, brachte sein Pferd zum Stehen und hielt eine kleine Ansprache auf gotisch. Ich bekam seinen Namen mit und auch meinen eigenen, doch sonst kaum etwas. Einige Leute kamen aus der Villa heraus, dann gingen sie wieder hinein. Athanaric saß auf seinem Pferd und wartete.
»Etwas habe ich dir noch nicht erzählt«, sagte er plötzlich und wandte sich in seinem Sattel zu mir um. »Die edle Dame Amalberga hat sicherlich einige Krankenpfleger, die sie umsorgen, und das sind bestimmt Frauen. Sei ihnen gegenüber nicht allzu abweisend. Es gibt hier keine Ärzte, und die Säuglingspflege wird von Frauen, von Hebammen und Geburtshelferinnen wahrgenommen. Einige der weisen Frauen sind von vornehmer Geburt und allgemein geachtet. Geh nicht von der Voraussetzung aus, daß sie Sklaven sind.«
Ich war überrascht. Bevor ich etwas antworten konnte, öffneten sich die Türen der Villa von neuem, und ein Mann trat heraus, gefolgt von einer Schar bewaffneter Begleiter. Er war hochgewachsen und schlank, sehr blond, mit einem fast weißen Bart; seine kräftige Nase war sonnenverbrannt, und seine Augen waren von einem sehr hellen Blau, wie aus Glas. Er war in einen prächtigen Umhang mit dementsprechendem Purpursaum gehüllt und trug eine goldene Kette um den Hals. Der Gegenwert der Juwelen auf seinem Schwertknauf hätte eine ganze Familie auf Lebenszeit ernähren können.
Athanaric sprang von seinem Pferd herunter. »Vortrefflicher Frithigern!« rief er und trat auf den anderen zu. Die beiden Männer umarmten sich. Frithigern war hocherfreut, uns zu sehen. Als ich ihm vorgestellt wurde, schüttelte er mir die Hand und dankte mir in fehlerfreiem Griechisch für mein Kommen. Seine liebe Frau, sagte er, sei in der Tat krank; ihre Pflegerinnen hätten anfangs gedacht, sie werde sich erholen, doch inzwischen seien sie sich nicht mehr so sicher. Er hätte von mir gehört und sei äußerst dankbar (hier drehte er sich zu Athanaric um), daß sein edler Vetter bereit gewesen sei, mich herzubringen. Ob ich irgendwelche Erfrischungen brauchte, bevor ich der Patientin einen Besuch abstattete oder ob ich sie gleich sehen wolle? Seine Blicke ruhten einen Augenblick lang mit einem schwer zu deutenden Ausdruck auf mir.
»Ich würde es vorziehen, die edle Dame sofort zu sehen«, antwortete ich. Frithigern lächelte; offensichtlich hatte ich das Richtige gesagt. Er machte eine Handbewegung in Richtung auf seine Begleiter und bellte ihnen einen Befehl auf gotisch zu. Sie geleiteten mich fort. Als ich ging, nahm Athanaric Frithigerns Arm und begann ihm Fragen zu stellen.
Die Dame Amalberga befand sich in einem der größeren Räume im rückwärtigen Teil der Villa. Meine Begleiter blieben vor der Tür stehen und klopften. Wir hörten Frauenstimmen, die sich in schrillem Tonfall auf gotisch miteinander stritten. Einer meiner Begleiter klopfte noch einmal; eine Frauenstimme rief etwas, dann fuhr sie mit ihren Streittiraden fort.
Wir traten ein.
Der Raum war prachtvoll, aber sehr schmutzig. Über dem mit Mosaiken ausgelegten Fußboden lagen Binsen, der brokatene Überwurf des Bettes war blutbefleckt, und eine Schale mit Erbrochenem stand in der Ecke, daneben ein voller Nachttopf. Beide Gefäße waren von Fliegen umschwirrt. In der anderen Ecke stand ein Kinderbettchen, in dem ein Säugling lag und schlief. Die beiden Frauen, die sich miteinander stritten, standen mitten im Zimmer. Sie waren beide in mittlerem Alter. Die eine war klein und dunkelhaarig und trug eine einfache graue Robe aus Wolle; die andere war groß und blond, hatte einen schönen blauen Umhang um und trug viele Juwelen. Amalberga lag bewegungslos in dem großen Bett, sie war zwar wach, aber sehr erschöpft. Sie war eine schöne Frau, sehr blond, mit einem vornehmen Gesicht und etwa ein oder zwei Jahre jünger als ich. Sie war außerordentlich blaß; ihre Augen glänzten fiebrig. Ihre weißen Arme waren mit dick geschwollenen Blutegeln bedeckt.
Die
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