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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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umgekommen. Es heißt, es habe keinen Zweck, sich ihnen entgegenzustellen, und die einzig angemessene Reaktion sei die Flucht. Doch dann erhebt sich die Frage, wohin sollen die Menschen hier denn fliehen? Sie sind zwischen dem Fluß und den Hunnen eingepfercht, im Westen leben die Sarmaten, und östlich von ihnen liegt das Schwarze Meer. König Athanaric hat seine Grenzen befestigt, doch selbst er spricht ganz offen davon, in Sarmatien einzufallen und das Land in Besitz zu nehmen, falls die Verteidigungsanstrengungen erfolglos bleiben. Doch Frithigern hat eine andere Idee.« Athanaric lächelte, seine Hände rissen so lange an seinem Zügel, bis sein Pferd nervös zu tänzeln begann. Diese Idee erregte ihn offensichtlich. »Frithigern möchte die Terwingen nach Thrazien führen.«
    Ich hielt den Atem an. »Er will einen Einfall wagen? Und das hat er dir erzählt?«
    Athanaric schüttelte den Kopf und lachte. »Frithigern gegen Rom kämpfen? Er betet Rom geradezu an! Das mußt du doch gemerkt haben. Nein, er möchte seine Erhabene Majestät darum bitten, die Terwingen als verbündeten Staat in das Imperium aufzunehmen und ihnen etwas von den thrazischen Gebieten zu überlassen, die im Augenblick brachliegen. Dann könnte der Kaiser das Land mit einer Steuer belegen und gotische Rekruten für seine Armee einziehen.« Athanaric grinste mich an.
    »Frithigern hat mich gefragt, ob ich glaube, daß dem Kaiser dieser Plan zusagen werde. Ich habe ihm nicht geradeheraus eingeräumt, daß ich mir der begeisterten Zustimmung des Kaisers sicher sei; ich habe nur zugesagt, die Angelegenheit dem obersten Palastbeamten des Kaisers vorzutragen und ihm die Antwort sobald wie möglich zu überbringen. Aber ich weiß zuversichtlich, daß der Kaiser ganz begeistert von dem Plan sein wird.«
    »Und was ist mit König Athanaric?« fragte ich. »Wäre er denn damit einverstanden, ein Vasall Roms zu werden?«
    »Niemals! Bis in alle Ewigkeit nicht.« Athanaric lachte und tat seinen Onkel mit einer Handbewegung ab. »Es ist Frithigerns Idee. Und Frithigern ist äußerst erpicht darauf, sie geheimzuhalten. Er möchte den größeren Teil seines Volkes über die Donau führen und König des Vasallenstaates werden. Du hättest wohl nicht gedacht, daß er so mächtig ist, nicht wahr? Wenn man ihn nach seinem Haus beurteilt, macht er eher den Eindruck eines gewöhnlichen Landedelmannes. Nun, er kann innerhalb von ein paar Tagen tausend Krieger um sich scharen. Wahrscheinlich wird er den Fluß bereits nächstes Jahr um diese Zeit überqueren.«
    Eine Zeitlang schwiegen wir alle beide. Als Athanaric weiterritt, lachte er leise vor sich hin, und seine Augen leuchteten. Ich dachte über die Goten nach. Sie würden also den Fluß überqueren, die brachliegenden Landstriche Thraziens besiedeln und dem Kaiser Steuern zahlen! Der Gedanke daran verursachte mir ein unbestimmtes Unbehagen. Es konnte nicht zwei Mächte im Staat geben: Wenn der Kaiser die eine war, wo blieb da ein gotischer König?
    »Wollen die Terwingen denn als Römer leben?« fragte ich Athanaric. »Ich weiß, daß sie Rom bewundern, aber es ist leichter, es aus der Entfernung zu bewundern, als direkt unter den Flügeln des Adlers zu hocken.«
    »Natürlich wollen sie als Römer leben!« rief Athanaric irritiert. Jetzt erst wurde mir bewußt, daß ihn die Aussicht auf die in Thrazien siedelnden Goten begeisterte. Natürlich: Es war genau das gleiche, was sein Vater getan hatte und wozu er selbst erzogen worden war. Vielleicht dachte er, er werde eine Heimat haben, wenn der ganze Stamm herüberkäme.
    »Du siehst sie von der anderen Seite der Donau aus und denkst ›edle Barbaren‹, nicht wahr?« sagte er. »Dabei ist nichts Edles an der Art und Weise, in der sie leben. Sie befinden sich fast ununterbrochen im Krieg – die Terwingen mit den Greuthungen, die Goten mit den Sarmaten und alle miteinander. Sie leben durch das Schwert, und sie werden von dem jeweils Stärksten beherrscht. Sebastianus nennt Lupicinus ungebildet, weil dieser noch nie etwas von Homer gelesen hat; Frithigern kann überhaupt nicht lesen, nicht einmal seinen eigenen Namen. Was wäre von deinem Hippokrates übriggeblieben ohne Bücher, he? Er wäre in Vergessenheit geraten, und du würdest wie Xanthos praktizieren, so wie du es von deinem Vater gelernt hättest. Du schaust auf Rom, und du erblickst eine Macht, die deine Freunde in Alexandria umgebracht hat; sie schauen auf Rom und erblicken eine Macht, die die Welt

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