Der Leuchtturm von Alexandria
sagen.
»Er liebt die Dame Amalberga sehr«, erzählte mir Athanaric, als wir drei Tage später heimritten. »Du hast dir nicht nur dieses goldene Geschmeide verdient, sondern auch eine lebenslange Freundschaft. Ich will doch hoffen, daß sie sich weiterhin gut erholt?«
»Mach dir deswegen keine Gedanken«, antwortete ich. Alles, was Amalberga wirklich gefehlt hatte, war absolute Ruhe und eine vernünftige Ernährung mit viel Flüssigkeit. Ich hatte es Frithigern gegenüber nicht so deutlich ausgesprochen, aber der wirkliche Grund für ihre Krankheit waren ihre Pflegerinnen gewesen. Als ich mich verabschiedete, saß Amalberga bereits aufrecht in ihrem Bett und wollte ihr Baby nähren. Auch sie hatte gefragt, ob es stimme, daß ich ein Eunuch sei. Als ich ihre Frage bejahte, erzählte sie mir, daß die Hebamme geglaubt hatte, ich sei in Wirklichkeit eine Frau. »Nein«, sagte ich, »bei den Römern können Frauen nicht Medizin studieren.« Bei diesen Worten runzelte sie die Stirn und sah mich überrascht an, dann lächelte sie. »Dann gibt es also tatsächlich etwas, worin wir euch überlegen sind.« Ich lachte und meinte, das könnte wohl so sein. »Nun gut, Chariton«, sagte sie, »ich danke dir für deinen Beistand für eine Fremde wie mich. Bitte nimm dies als Zeichen meiner Dankbarkeit.« Sie überreichte mir einen mit Perlen besetzten Ring. Ich erzählte ihr, ihr Gatte sei mir gegenüber bereits äußerst großzügig gewesen. »Dann laß mich ebenfalls großzügig sein«, bat sie lächelnd. »Ich möchte nicht von ihm übertroffen werden!« Ich erklärte ihr, ich sei durch ihre Genesung bereits reichlich belohnt, doch ich nahm den Ring an.
»Du brauchst dir ihretwegen keine Sorgen zu machen«, sagte ich jetzt zu Athanaric. »Und diese weise Frau Areagni ist einigermaßen vernünftig, zumindest solange sie nicht versucht, Xanthos zu imitieren. Ich glaube nicht, daß sie noch einmal Blutegel ansetzt. Es ist ein Jammer, daß sie nicht lesen kann; ich würde ihr gerne mein Exemplar des Hippokrates leihen.« Athanaric lachte stillvergnügt in sich hinein. »Ich dachte, dich beleidige schon allein der Gedanke daran, Frauen könnten die Kunst des Heilens ausüben.«
»Warum sollte ich so denken?« fragte ich, bevor mir klar wurde, daß ich mich auf ein gefährliches Terrain begab. »Es gibt massenhaft Hebammen in römischen Landen, und viele von ihnen sind sehr vernünftige und fähige Frauen«, fügte ich hastig hinzu. »Im großen und ganzen richten sie weniger Schaden an als solche Quacksalber wie Xanthos. Mit einer richtigen, auf Hippokrates fußenden Ausbildung könnten sie ebenso geschickt sein wie jeder beliebige Arzt.«
»Mit anderen Worten, der große Hippokrates ist so allmächtig, daß er selbst aus einer Frau einen Arzt machen könnte?«
»Wenn du es so ausdrücken willst«, antwortete ich, »meinetwegen.«
»Götzendiener!« sagte Athanaric mit freundlichem Spott.
»Nun, es ist gut, daß du mit der weisen Frau ausgekommen bist; sie werden eher geneigt sein, dich noch einmal zu rufen, wenn Areagni dich ebenfalls mag.«
»Dann mußt du also noch weiterspionieren?«
Athanaric fuhr sich mit der Hand durch seine Haare. »Ich habe nicht spioniert. Ich habe mich mit dem höchst edlen Frithigern beraten. Ich benötige keinen Vorwand, wenn ich wiederkommen will, um mich noch einmal zu beraten.« Er ließ seine Hand sinken und sah mich einen Augenblick lang prüfend an, dann lächelte er. »Wenn ich dir erzähle, worüber wir beratschlagt haben, fällt es dann unter deine Schweigepflicht?«
»Natürlich«, erwiderte ich, überrascht darüber, daß er mir überhaupt etwas erzählen wollte.
»Es gibt da ein neues Volk, Menschen, die aus dem Nordosten, von jenseits des Landes der Alanen, gekommen sind. Sie bauen keine Häuser, und sie gehen niemals hinter einem Pflug her, aber sie leben genau wie die Alanen in Pferdewagen und verbringen die meiste Zeit ihres Lebens auf dem Rücken ihrer Pferde. Sie leben ohne Gesetz oder Religion, sind unzuverlässig gegenüber ihren Verbündeten, doch sie brennen vor Verlangen nach Gold und dem Hab und Gut ihrer Nachbarn. Und sie sind äußerst wilde Krieger. Man nennt sie die Hunnen. Und es gibt Tausende und Abertausende von ihnen. Die gotischen Greuthungen sind schon von ihnen besiegt worden, und König Athanaric hat die Terwingen gegen sie geführt – und verloren. Sie haben den nördlichen Teil des gotischen Dazien verwüstet, und viele Menschen sind durch sie
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