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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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Begierde ist eine Qual.«
    »Ja«, erwiderte ich inbrünstig und ohne nachzudenken. Athanaric warf mir erneut einen Blick zu, und diesmal lag Überraschung darin. »Ist das wirklich deine Meinung? Chariton der Arzt, der vollkommene Philosoph, der Praktiker der stoischen Gleichmut? Du hast doch gerade gesagt…« E r hielt inne und wurde plötzlich mißtrauisch. »Keine Frauen? Aber Männer?«
    »Ein Mann«, erwiderte ich und biß mir auf die Lippen.
    »Ein Eunuch kann wahrscheinlich nichts dafür«, meinte er, doch in seinen Augen entdeckte ich einen Ausdruck des Widerwillens. »Dabei mußt du ein hübscher Junge gewesen sein.«
    »Nein, nein, so war es nicht. Es ist überhaupt nichts passiert.«
    Daraufhin wurden aus dem Widerwillen und dem Mißtrauen eine mit Mitleid gemischte Erheiterung. »Mochte er keine Knaben? Was hast du getan?«
    »Nichts«, sagte ich. »Ich habe nie etwas gesagt und er auch nicht. Irgendwann kommt man über so etwas hinweg. Das ist meine ganze Erfahrung mit der Begierde. Nicht gerade überwältigend, oder?«
    Er lachte. »Armer Chariton!«
    Ich schüttelte den Kopf. »Mir bleibt ja Hippokrates.«
    Am nächsten Morgen gingen wir zur Gerichtsverhandlung. Ich legte meinen besten Umhang um, den mit dem rotgrünen Saum. Sebastianus bot »den ganzen Glanz der skythischen Armee« auf. Er erschien in seinem goldenen Harnisch und mit dem kurzen karmesinroten Umhang in prächtiger Aufmachung vor Gericht. In seinem Gefolge marschierte eine Leibwache aus einem Dutzend Soldaten. Auch Athanaric tat sein Bestes; er hüllte sich in einen frischgewaschenen Umhang – es war ein besonders schöner mit einem gemusterten Saum –, hängte sich sein kaiserliches Kuriersiegel an einer goldenen Kette um den Hals und stolzierte mit seinem durch den Schwertgürtel gesteckten Daumen in den Gerichtssaal. Ich glaube, selbst wenn mir der Statthalter feindlich gesinnt gewesen wäre, dieser ganze Aufzug hätte ihn schwankend gemacht.
    Der Gerichtssaal befand sich im Erdgeschoß der Präfektur und grenzte an den ersten Innenhof. Er war mit Statuen der Justitia geschmückt; ein dieser Göttin geweihter und als heidnisch angesehener Altar war aus einer der Wände herausgerissen worden und hatte abbröckelnde Gipsstücke hinterlassen. Die Gerichtsdiener ließen Sebastianus, Athanaric und mich ein, doch mit Ausnahme von zwei Soldaten verwehrten sie allen Begleitern von Sebastianus den Eintritt und wiesen dabei entschuldigend auf den Platzmangel hin. Das Gebäude war bereits mit zahlreichen Bürgern von Tomis überfüllt. Ein Prozeß, bei dem es um Zauberei geht, erweckt jedesmal beträchtliches Interesse. Außerdem wollten die Leute einen Blick auf ihren neuen Statthalter werfen.
    Xanthos war bereits da. Er war in seine besten Gewänder gehüllt, und in seiner Begleitung befand sich eine ganze Anzahl von Leuten aus Novidunum, die wohl allesamt dazu bereit waren, zu bezeugen, daß ich ein Zauberer sei. Die Gerichtsdiener wiesen mir einen Platz zur Linken des Podiums hinter einer Schranke an; meine Freunde saßen dem Gericht direkt gegenüber. Auf den Bänken gab es keinen Platz mehr, doch die Gerichtsdiener brachten Stühle herbei und machten viel Aufhebens davon, irgendwelche Kissen aufzutreiben.
    Thorion erschien genau zur vollen Stunde, als habe er die Zeit mit der Wasseruhr gemessen. Er hatte sich kaum verändert. Vielleicht war er ein bißchen schwerer und sein Gesicht eine Spur voller, auch war er mit größerer Sorgfalt gekleidet – er hatte seinen Umhang nie so getragen, daß die Purpurstreifen gerade nach unten verliefen, aber heute hätte man sie mit einem Senkblei nachmessen können. Noch bevor er sich setzte, schweiften seine Blicke neugierig über die Anwesenden hinweg. Zweimal sah er mich an und blickte gleich wieder weg. Er setzte sich, blickte erneut zu mir, und ich lächelte. Er starrte mich an, und ich sah, wie sich seine Lippen bewegten, als fluche er leise vor sich hin.
    Die Verhandlung war eröffnet. Xanthos hatte einen Rechtsanwalt engagiert, einen rundlichen Mann, der sich erhob und eine lange, schwülstige Ansprache über die Verdienste seines Klienten und über meine Niedertracht, Verderbtheit, Gottlosigkeit, Heuchelei und Verschlagenheit vom Stapel ließ. Thorion sah mich währenddessen ununterbrochen an und schüttelte voller Verwunderung den Kopf. Die Zuschauer flüsterten miteinander und starrten mich an: zuerst nur neugierig, dann, als der Rechtsanwalt allmählich in Fahrt kam, voller Faszination

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