Der Leuchtturm von Alexandria
und Abscheu. Der Anwalt führte die einzelnen Anklagepunkte auf und förderte schließlich mit einem eleganten Schwung die belastende Rattenpfote zutage. Erneutes Flüstern und erschrockenes Atemanhalten. Xanthos grinste triumphierend. Sebastianus wandte sich unbehaglich ab, der Anwalt beendete seine Rede, verbeugte sich vor dem Richter und setzte sich.
»Also«, sagte Thorion kurz angebunden. »Was hat der Angeklagte zu all dem zu sagen? Hast du einen Verteidiger mitgebracht, Chariton von Ephesus?« Er sprach den von mir angenommenen Namen mit einer gewissen Abneigung und einem Ausdruck hochmütiger Verachtung aus, so als sei er mir noch nie begegnet.
»Ich werde für mich selbst sprechen, Euer Ehren«, antwortete ich und erhob mich, um meine Verteidigungsrede zu halten. Ich schilderte Diokles’ Unfall, beschrieb die Behandlung, die Xanthos seinem Freund hatte angedeihen lassen, und beteuerte meine völlige Unkenntnis magischer Künste. »Ich bin in Alexandria ausgebildet worden und verehre den großen Hippokrates, und zwar sowohl aufgrund meiner Ausbildung als auch aus Neigung!« schloß ich. »Wir sind der Überzeugung, daß Krankheiten natürliche Ursachen haben und auch die Heilungen auf natürliche Weise zustande kommen. Und wir sind viel zu beschäftigt damit, diese Ursachen zu studieren, um magischen Kräften Beachtung schenken zu können. Abgesehen davon schwören wir, unsere Kenntnisse zum Heilen zu benutzen und niemals, um jemandem zu schaden. Ich bin in allen Punkten unschuldig.«
Ich setzte mich. Die Leute aus Tomis flüsterten miteinander, sie waren alles andere als überzeugt und warfen mir versteckte Blicke voller Abscheu und Mißtrauen zu.
Thorion nickte und beugte sich vor. »Wenn ich recht verstehe, so ist der Kläger lange Zeit Chefarzt in der Festung Novidunum gewesen, und zwar bis zur Ankunft des Beschuldigten. Kann mir jemand Auskunft geben, wie er seinen Posten ausgefüllt hat?«
»Mein Klient hat sein ganzes Leben lang nach der apollinischen Heilkunst praktiziert!« beeilte sich der Rechtsanwalt in höflichem Tonfall zu versichern. »Genau wie bereits sein Vater hat er furchtlos die Kranken behandelt und ihre Schmerzen gelindert…«
»Ja, ja, aber wie hat er seinen Posten ausgefüllt?« fragte Thorion. »Irgendwelche Zeugen?«
Jetzt erhob sich Sebastianus voll lässiger Eleganz.
»Der vortreffliche und höchst edle Sebastianus, Heerführer von Skythien«, verkündete der Gerichtsdiener. »Vorzüglicher«, sagte Thorion und lächelte das mir so vertraute Lächeln, bei dem er seine krummen Zähne entblößte, »ich bin erfreut, die Bekanntschaft eines so bedeutenden Mannes zu machen. Ich fühle mich geehrt, daß du es auf dich genommen hast, vor unserem Gerichtshof zu erscheinen.«
Sebastianus machte eine abwehrende Geste. »Darf ich zugunsten des Angeklagten aussagen?«
»Ein edler Mann von deinen Qualitäten könnte auch zugunsten des Teufels aussagen.«
Sebastianus fing an, Xanthos eindringlich als unfähigen und stümperhaften Quacksalber zu schildern und mich in den höchsten Tönen zu loben. »In dem Jahr, bevor der allseits geschätzte Chariton zu uns kam«, stellte er fest, »wurden in dem Hospital in Novidunum 83 Patienten behandelt, davon starben 72. Im vorigen Jahr wurden 148 behandelt, davon wurden 102 wieder gesund. Darüber hinaus ist die Anzahl der kranken Männer unter meinen Soldaten drastisch gesunken. Ich schätze Charitons Dienste außerordentlich. Er ist ein sehr geschickter und hingebungsvoll arbeitender Arzt, und dieses ganzes Gerede über Zauberei ist schierer Unsinn.« Er setzte sich.
Thorion nickte während dieser Rede immer wieder. »Der vorzügliche Heerführer war bereits so gütig, sich in einem Brief an meinen Vorgänger auf ähnliche Weise zu äußern«, meinte er, als Sebastianus geendet hatte. »Also: Xanthos war Chefarzt und füllte seinen Posten miserabel aus; Chariton taucht auf, verdrängt ihn, und die Arbeit funktioniert. Dieser Bursche Diokles fällt in die Donau, zieht sich eine Lungenentzündung zu und wird von Xanthos behandelt, woraufhin er prompt stirbt. Xanthos beschuldigt seinen Gegner, der ihn von seinem Posten verdrängt hat.«
»Ruhmvoller Statthalter!« rief der Rechtsanwalt aufgebracht. Xanthos saß stocksteif da und starrte Thorion mit offenem Mund an.
»Ach, schweig doch!« sagte Thorion ungeduldig. »Du kannst schließlich nicht leugnen, daß dein Klient einen tiefen Groll gegen den Angeklagten hegt. Hast du irgendeinen
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