Der Leuchtturm von Alexandria
komm.« Ich deutete den Hügel hinauf. Das Mädchen blickte unglücklich nach oben, sah sich nach dem Sklavenschiff um, dann machte es sich auf den Weg hügelaufwärts. Nach den ersten paar Schritten setzte es den Jungen ab. Er nahm die Hand des Mädchens und ging neben ihm her.
Als wir zu Hause ankamen, fanden wir Sueridus und Raedagunda in der Küche vor. »Dies ist mein Haus«, erklärte ich dem Mädchen in meinem schlechten Gotisch. »Dies ist Sueridus, das ist Raedagunda. Du bist…?«
»Gudrun.« Sie sah sich in der Küche um, dann wanderte ihr Blick von Raedagunda zu mir. »Bitte, bist du ein Mann oder eine Frau?«
Sueridus lachte.
»Sie ist eine Frau, die als Mann verkleidet ist«, sagte der kleine Alaric zutraulich – die ersten Worte, die ich ihn sagen hörte.
Sueridus und Raedagunda lachten über die Einfalt des Kindes. Raedagunda sprang auf und trat zu dem kleinen Jungen; sie hockte sich vor ihn hin. »Er ist keine Frau, er ist ein kluger Heiler und ein mächtiger Zauberer! Du hast großes Glück, daß er dich gekauft hat. Möchtest du ein Stück Sesamkuchen?«
Ich half Raedagunda, die beiden zu waschen, während Sueridus ein paar saubere Kleider für sie besorgte. Schon bald saßen die Kinder am Tisch, sahen manierlich aus und verzehrten sauber gewaschen und zufrieden ihren Sesamkuchen.
»In das Lager des edlen Frithigern kam auch einmal ein Heiler«, meldete sich Gudrun zu Wort. »War das auch ein Zauberer?«
»Das war vielleicht ich«, sagte ich zu Gudrun. Dann fragte ich sie: »Warum haben eure Eltern euch verkauft?« Ich war sehr neugierig auf ihre Geschichte. Es stimmte zwar, daß Händler schon seit jeher gotische Sklaven verkauft hatten. Aber ein Schiff wie dieses, bis zum Schanzdeck mit Kindern vollgestopft, die sehr billig verkauft wurden, für kaum mehr, als man für ihre Kleidung aufbringen muß – das ist unnormal. Und es war nicht das einzige Schiff auf der Donau. Ich hatte den Eindruck, mehr als sonst gesehen zu haben: Sie waren nach Histria und den Häfen am Schwarzen Meer unterwegs, aber ich hatte bis jetzt noch nicht viel darüber nachgedacht.
»Wir brauchten etwas zu essen, Herr«, antwortete das Mädchen und schluckte ihren Kuchen hinunter. »Wir hatten nichts. Meine Mutter sagte, die Römer würden mich wenigstens nicht verhungern lassen. Die Römer gaben ihnen einen Hund für mich, so daß Mutter den Hund essen konnte.«
»Barmherziger Christ«, sagte ich und warf dem Mädchen einen prüfenden Blick zu, um mich zu vergewissern, ob es scherzte oder nicht. Ein menschliches Wesen im Austausch gegen einen Hund?
Raedagunda starrte das Mädchen ebenfalls mit großen Augen an. »Meine Eltern haben mich für einen jungen Ochsen und eine Goldmünze verkauft«, erzählte sie.
»Das war, bevor die Leute den Fluß überquerten«, meinte Gudrun zutraulich.
»Fang noch einmal von vorne an«, forderte ich sie auf. »Du bist aus dem Norden, nicht wahr? Ihr seid vor den Hunnen geflohen?«
Sie nickte. »Die Hunnen kamen und brannten unser Haus nieder«, erzählte sie leise, dann sah sie mich mit einem eigenartigen Blick an. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. »Sie brachten meinen Vater um. Bevor die Hunnen kamen, versteckte sich meine Mutter mit mir und meinem kleinen Bruder im Wald. Die Hunnen suchten uns eine Weile, doch dann ritten sie weiter. Wir gingen in Richtung Süden. Wir hatten gehört, der edle Frithigern habe mit dem römischen König vereinbart, daß wir den Fluß überqueren dürften und uns dort Land suchen könnten, wo keine Hunnen sind. Wir gingen lange Zeit nach Süden. Mutter verkaufte ihre Armreifen und besorgte uns etwas zu essen, und ich pflückte Beeren. Dann kamen wir an den Fluß, und es wurde besser. Mutter fand einen anderen Vater für uns – seine Frau war von den Hunnen verschleppt worden. Der edle Frithigern gab uns etwas Weizen, um Brot daraus zu backen. Ich pflückte Eicheln und Schilfrohr und Mädesüß. Und ich versuchte, Fische zu fangen; mein Bruder und ich fingen einen Haufen Frösche – wir hatten jede Menge zu essen. Dann verkündete der edle Frithigern, wir könnten den Fluß überqueren. Er ließ Wagen bringen, auf denen die kleinen Kinder, die Kranken und all unsere Habe verstaut wurde. Zusammen mit vielen anderen Leuten marschierten wir viele Tage am Ufer entlang, bis wir zu dem Platz kamen, wo die Schiffe lagen. Wir waren sehr glücklich, als wir da waren. Wir bestiegen ein kleines Boot und gelangten damit über den Fluß ins römische
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