Der Leuchtturm von Alexandria
gehalten. Sie würden zwar schwächer sein, als die ihnen gegenüberstehenden römischen Truppen, doch sie waren nach wie vor gefährlich. Oder waren sie vielleicht sogar stärker? Wie viele von ihnen hatten die Donau überquert? Ich wußte von Athanaric, daß es Tausende von Terwingen gab.
Jemand mußte dem ein Ende bereiten. Die Behörden in Mösien handelten offensichtlich in heimlichem Einverständnis miteinander, aber Sebastianus und Thorion müßten in der Lage sein, etwas dagegen zu unternehmen. Und Athanaric? Keinen Augenblick lang glaubte ich, er könne an diesem korrupten Plan beteiligt sein, aber zumindest würde er bereits davon wissen. Ich hatte ihn seit der Gerichtsverhandlung nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich hatte er herausgefunden, wie den Goten von den römischen Befehlshabern mitgespielt wurde, und war schnurstracks an den Hof in Antiochia geritten, um dort Bericht zu erstatten. Vielleicht waren bereits Befehle vom Hof unterwegs, um den schändlichen Praktiken von Festinus und Lupicinus ein Ende zu bereiten.
Aber Korruption ist Bestandteil des römischen Lebens, und es konnte schwierig sein, jemanden am Hof dazu zu bewegen , Notiz von ihr zu nehmen. Und ich wußte ja, daß Festinus mächtige Freunde besaß. Es würde schwer sein, diese Machenschaften zu beenden. Im Grunde genommen konnte ich genausogut wie jeder andere etwas dagegen unternehmen. Ich war ein Freund des Heerführers und die Schwester des Statthalters von Skythien. Ich würde mit allen beiden sprechen müssen.
»Gudrun«, begann ich, dann hielt ich – durch die Unkenntnis ihrer Sprache in meinem Schwung gehemmt – inne. »Du bleibst jetzt hier«, fuhr ich fort. »Ich gebe dich später deinen Eltern zurück, wenn – Raedagunda, sag ihr, daß ich nicht von diesem Handel Menschen gegen Hunde profitieren will und daß ich sie und Alaric ihren Eltern zurückgeben werde, sobald die Terwingen sich auf ihrem eigenen Grund und Boden angesiedelt haben werden. Und sag ihr, daß nicht alle Römer so sind wie Lupicinus und Festinus und daß ich ihre Geschichte dem Heerführer und auch dem Statthalter erzählen werde, um sie zu bitten, ihrem Volk Nahrungsmittel zu schicken.«
Raedagunda starrte mich einen Augenblick lang an, dann schenkte sie mir ein strahlendes Lächeln und übersetzte. Gudrun starrte mich ebenfalls an, dann leuchtete Hoffnung in ihrem Gesicht auf. Sie fiel auf die Knie und küßte mir die Hände. »Du willst mich nach Hause lassen?« fragte sie mich. »Du willst Nahrungsmittel den Fluß hinaufschicken?« Alaric sah zu ihr, dann rannte er zu mir und umklammerte meine Knie, genau wie er es bei ihr gesehen hatte.
»Alles, was ich tun kann, werde ich tun«, versprach ich ihnen. Ich hoffte nur, daß ich auch wirklich etwas erreichen konnte.
9
Sebastianus war immer noch in Tomis und kümmerte sich um die Wintervorräte, und Thorion war sowieso dort. Ich entschloß mich also, in die Stadt zu reiten und mit beiden persönlich zu sprechen. Ich sagte Valerius, daß ich mir auf unbestimmte Zeit frei nähme, jedoch hoffte, innerhalb einer Woche zurück zu sein. Dann regelte ich die Arbeit im Hospital und beauftragte Arbetio und Edico, sich um alles zu kümmern. Sie waren sehr froh, als ich ihnen von meinem Vorhaben erzählte. Dann bestieg ich mein Pferd und ritt davon. Ich hatte eine Ersatztunika und meine Arzttasche bei mir, und ich nahm zwanzig Solidi und ein wenig von meinem gotischen Schmuck mit, falls ich jemanden bestechen müßte. Ich ließ Raedagunda genügend Kupfergeld zum Einkaufen da. Für den Notfall konnte sie auch alles auf Kredit kaufen.
Zwei Tage später, am späten Nachmittag, erreichte ich Tomis und begab mich auf direktem Wege zur Präfektur. Die Sklaven ließen mich im Vorzimmer warten, doch nach ein paar Minuten flog die Tür auf, und Thorion stürmte in den Raum. Sein Umhang mit dem Purpurstreifen war völlig verrutscht, und seine Haare standen ihm wie ein Reisigbesen zu Berge.
»Charition!« rief er und umarmte mich. »Gott sei Dank, daß du gekommen bist! Wie hast du das nur so schnell geschafft? Ich habe doch erst heute morgen nach dir geschickt!«
Ich starrte ihn begriffsstutzig an, aber er lachte nur, zerrte mich aus dem Raum und schob mich in ein Zimmer, in dem Melissa in den Wehen lag. Natürlich hätte ich, wenn ich erst auf seine Botschaft hin gekommen wäre, noch gar nicht da sein können, selbst wenn ich die kaiserliche Post benutzt hätte. Melissa brachte etwa zwei Stunden nach meiner Ankunft
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