Der Leuchtturm von Alexandria
mich also als der in Alexandria ausgebildete Arzt vor, nach dem er verlangt hatte. Der Heerführer war ein hochgewachsener, sonnengebräunter Mann mit dem Aussehen, den Manieren und den Grundsätzen eines Straßenräubers. Sobald er gehört hatte, daß ich käme, hatte er zwei seiner Ärzte zu sich nach Marcianopolis befohlen. Er nahm mich in die Unterkünfte seiner Soldaten mit und stellte mich seinen Leuten vor. Dann ging er, damit wir in Ruhe über die Pest sprechen konnten. Die Ärzte waren kaum tüchtiger als Xanthos und Diokles. Ich fragte sie über die Wasservorräte in den Lagern an der Donau aus. Sie meinten, die Leute hätten ja den Fluß. Ich fragte sie über die Hygiene aus. Sie meinten, die Römer hätten die üblichen sanitären Einrichtungen, die Barbaren jedoch gingen auf der Suche nach Nahrung am Ufer auf und ab und verunreinigten es dabei. Ich fragte sie über die Einrichtungen für die Kranken aus. Sie meinten, die Soldaten kümmerten sich gleich an Ort und Stelle um ihre eigenen Leute und schickten lediglich schwere Fälle in das Hospital. Für die Barbaren gab es keinerlei medizinische Einrichtungen. Außerdem waren die Ärzte äußerst schlecht auf die Terwingen zu sprechen, da diese verschiedene Krankheiten hatten, mit denen sie die römischen Soldaten ansteckten. Sie schienen zu glauben, die Goten täten es absichtlich.
Ich hielt ihnen einen langen Vortrag über die Ansteckungsgefahr über Luft und Wasser, wie wichtig es sei, sich ausreichende Vorräte von sauberem Wasser anzulegen, die Kranken zu isolieren und die Luft mit Hilfe von Schwefel zu reinigen. Zum Schluß betonte ich die Notwendigkeit, den Goten ihr eigenes Land zuzuweisen. Als ich ging, waren die Ärzte unzufrieden mit mir, weil ich ihnen keine magischen Zaubersprüche gegen die Pest verraten hatte, und sie waren unzufrieden mit ihrem Oberbefehlshaber, weil er es zuließ, daß sich die pestkranken Terwingen so nahe bei seinen eigenen Truppen aufhielten. Ich war ebenfalls unzufrieden. Falls die Ärzte meine Anweisungen sorgfältig befolgten, gelang es ihnen vielleicht, die Ausbreitung der Krankheit unter den römischen Truppen zu verhindern. Aber ich hatte nichts für die Goten erreicht. Schlecht gelaunt ging ich in das Zentrum von Marcianopolis zurück und verfluchte die römische Habgier.
Als ich ins Hauptquartier kam, fand ich Sebastianus und Athanaric ebenfalls schlecht gelaunt vor. »Dieser Festinus ist ein fetter, erpresserischer Blutsauger«, erklärte Athanaric und senkte die Lautstärke seiner Stimme. »Ich übergab ihm Theodoros’ Briefe und dachte mir ein paar Schmeicheleien aus, aber er wollte sich in dieser Angelegenheit auf nichts festlegen lassen. Für heute abend hat er mich zu einem Festmahl eingeladen. Er hat den Palast des Präfekten wie den Herrensitz eines genußsüchtigen Sybariten ausgestattet und ihn mit terwingischen Sklaven vollgestopft, die ihn von hinten und vorne bedienen müssen. Er steckt bis zum Hals in diesen Wuchergeschäften mit drin.«
»Lupicinus hält ihn für sehr schlau und gerissen«, erzählte Sebastianus angewidert. »Als ich die Angelegenheit ihm gegenüber zur Sprache brachte, versuchte er, alle Schuld auf den Statthalter abzuwälzen. Obwohl die ursprüngliche Idee ganz offensichtlich von ihm kommt. Nun, sie konnten ihren Schiebereien ein paar schöne Monate lang nachgehen: Lupicinus wäre vielleicht damit einverstanden, die Sache jetzt gut sein zu lassen. Ihm sind Gerüchte zu Ohren gekommen, die Goten könnten sich erheben, und er beginnt, sich deswegen Sorgen zu machen. Festinus hat ihn für heute abend ebenfalls zum Essen eingeladen, zusammen mit uns dreien. Und Lupicinus hat mir versprochen, er wolle dort etwas wegen der Goten unternehmen.«
»Aber mich hat er doch wohl nicht auch eingeladen?« fragte ich.
»Er hat alle anwesenden Armeeführer samt Gefolge eingeladen, und dein Name wurde extra erwähnt. Das ist schließlich nicht so überraschend: Du bist ein studierter Mann, und er konnte dich kaum unberücksichtigt lassen. Warum, was ist denn los?«
»Unser Chariton geriet unter der Statthalterschaft von Festinus in Schwierigkeiten«, sagte Athanaric und grinste. »Er will nicht sagen, warum.«
»Ernsthafte Schwierigkeiten?« fragte Sebastianus eindringlich und warf mir einen prüfenden Blick zu.
»Ich wurde niemals direkt beschuldigt«, erwiderte ich, etwas verärgert über Athanarics unbekümmerte Unterstellungen. »Ich bezweifle sehr, daß Festinus mich überhaupt
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