Der Leuchtturm von Alexandria
einen Vorteil daraus ziehen.« Die Angst beflügelte meine Zunge und ließ mich fast fließend gotisch sprechen.
»Chariton von Ephesus?« fragte der Befehlshaber; einer der anderen Goten, der beinahe ebenso bedeutend ausstaffiert war und einen Mantel aus Wolfspelz trug, stieß einen Ruf der Überraschung aus und ritt auf uns zu. Er zog den Befehlshaber zur Seite, und sie flüsterten kurz miteinander und warfen mir immer wieder bedeutungsvolle Blicke zu. Dann wandte sich der Befehlshaber zu mir um. »Ich heiße den Gastfreund des edlen Frithigern willkommen«, sagte er in einem sehr viel freundlicheren Tonfall. »Bleib hier; übergib Triwane das Zeichen des Waffenstillstands. Deine Leute können nach Salices reiten.« Triwane, derjenige, der dem Befehlshaber offensichtlich etwas über mich erzählt hatte, nahm die Zweige, hielt sie hoch in die Luft und ritt langsam auf die Römer zu. Der Befehlshaber rief seinen Truppen etwas zu, die gotischen Linien teilten sich erneut in zwei Reihen, und die Römer begannen vorwärts zu reiten, geleitet von Triwane, der die grünen Zweige empor hielt.
Ich schluckte. Es war vorbei, den Göttern sei Dank.
»Ich danke dir, Herr«, sagte ich und drehte mich zu dem Befehlshaber um. »Kann ich mich jetzt meinen Leuten anschließen?«
Er betrachtete mich nachdenklich, kaute auf seinem Bart herum, dann beugte er sich zu mir hinüber und ergriff die Zügel meines Pferdes. »Der edle Frithigern möchte dich sprechen.« Ich starrte ihn einen Augenblick lang begriffsstutzig an. Frithigern wollte mich sprechen. Dann wurde mir blitzartig klar, daß Frithigern zweifellos ganz dringend Ärzte benötigte. »Nein«, erwiderte ich. »Ich bin Frithigerns Gastfreund, ich habe das Leben seiner Frau gerettet, als sie nach der Kindsgeburt krank war. Freiwillig komme ich nicht mit. Und Frithigern ist ein edel denkender Mann und wird es dir nicht danken, wenn du seinen Gastfreund bei dem Versuch, ihn mit Gewalt mitzubringen, tötest.« Ich versetzte meinem Pferd einen heftigen Tritt, und aufgeschreckt riß es sich von dem gotischen Befehlshaber los. Ich wandte mich den römischen Streitkräften zu, die jetzt durch das Festungstor ritten und galoppierte so schnell, wie ich konnte, in ihre Richtung. Hinter mir schleuderte jemand ein Wurfgeschoß nach mir, doch der Befehlshaber rief ihnen zu, sie sollten damit aufhören. Statt dessen hörte ich, wie andere Pferde hinter mir her galoppierten. Kurz vor mir sah ich, wie der römische Tribun sein Pferd zügelte und seinen Männern Befehl gab, anzuhalten. Dann stolperte mein ermüdetes Pferd und stürzte. In dem Moment, als es den Boden berührte, rollte ich mich von ihm weg und lag einen Augenblick lang zusammengekrümmt da. Die Goten galoppierten heran und sprangen von ihren Pferden. Einer von ihnen fing mein Pferd ein. Ich erhob mich auf Hände und Knie; der Schnee war naß, und das Tageslicht schwand allmählich. Einen Augenblick lang vermochte ich mich nicht zu rühren. In der Mitte zwischen den feindlichen Streitkräften fühlte ich mich so, als sei ich meiner Persönlichkeit beraubt worden. Und ich hatte Angst, Angst nicht so sehr vor all der Gewalt um mich herum – obwohl auch diese mich sehr mitgenommen hatte – als vor etwas anderem: vor der Dunkelheit, vor der Schutzlosigkeit und davor, überhaupt niemand mehr zu sein.
Erneutes Hufedonnern, dann kam der römische Tribun angeritten. Ich hockte mich auf meine Fersen und versuchte, meine Selbstbeherrschung wiederzuerlangen. Die Goten riefen etwas, und einer zog sein Schwert.
»Was ist hier los?« fragte der Römer. »Ich dachte, wir hätten einen Waffenstillstand geschlossen?«
Der gotische Befehlshaber rief seinem Soldaten zu, er solle sein Schwert wegstecken, dann wandte er sich dem Römer zu. »Wir haben einen Waffenstillstand geschlossen«, sagte er in perfektem Latein. »Aber der Arzt kommt mit uns.«
Der Tribun sah auf mich herunter und berührte den Knauf seines Schwertes. »Er ist Römer, und der Heerführer schätzt ihn außerordentlich«, sagte er in entschiedenem Tonfall. »Du hast kein Recht dazu, ihn gefangenzunehmen.«
»Schätzt ihn der Heerführer mehr als dich und all deine Männer?« fragte der Gote. »Wir können den Waffenstillstand jederzeit widerrufen. Kämpf doch gegen uns, wenn du willst. Der edle Frithigern hat diesen Arzt als einen der Männer erwähnt, die er unbedingt in seine Dienste stellen möchte. Ich werde ihn zu ihm bringen, und wenn ich dazu einige Römer töten
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