Der Leuchtturm von Alexandria
und von Sebastianus’ Soldaten abgeschnitten und aufgerieben worden. Der Tribun hatte recht gehabt: Der Überfall auf Salices war ein Rachefeldzug gewesen. Sie hatten außer Sichtweite gelagert und an der Versorgungsstraße des Lagers einen Hinterhalt gelegt, in der Hoffnung, ein paar Römer zu töten und sich dann wieder davonzumachen. Aber sie waren nicht unbedingt erpicht auf eine größere Schlacht gewesen, und jetzt wollten sie mit ihrer Beute möglichst schnell zu ihren Frauen und Familien zurückkehren. So marschierten wir in südwestliche Richtung, vorneweg ein Trupp Reiter, dann kamen die Fußsoldaten zusammen mit den Sklaven und den Wagen mit dem Beutegut, schließlich die Kühe und die restlichen Reiter, die langsam durch ein weißes, menschenleeres Land ritten.
Selbst bei unserem langsamen Tempo brauchten wir nur anderthalb Tage, um die Wagenburg zu erreichen – ich hatte mir nicht klargemacht, daß sie so nahe lag. Aus der Entfernung sah sie wie eine wirkliche Stadt mit hölzernen Wällen aus. Erst beim Näherkommen konnte man sehen, daß die Wälle aus einer endlosen Kette zusammengerückter und aneinandergebundener Wagen bestanden, an die man hölzerne Schanzpfähle befestigt hatte. Als wir näherkamen, ritten einige der Goten voraus, schrien und brüllten und schwenkten ein paar von den geplünderten Gegenständen. Andere Goten strömten aus der Stadt heraus und schrien ihrerseits. Kinder stapften durch den Schnee und rannten neben den Soldaten her, riefen ihnen Fragen zu, bewarfen die Gefangenen mit Schneebällen und beschimpften und verhöhnten sie. Einige rannten voraus, um einen Vater oder einen Bruder, einen Onkel oder einen Vetter zu begrüßen. Die Marschkolonne machte halt, lange bevor wir die Tore erreichten. Ich kauerte auf meinem Pferd und fühlte mich erbärmlich. Die Leute starrten mich an und zeigten mit den Fingern auf mich, obwohl niemand etwas nach mir warf.
Im Inneren der Stadt befanden sich weitere Wagen, die in unregelmäßigen, konzentrischen Kreisen angeordnet waren. Überall liefen Tiere und Menschen herum. Der Rauch von Kochfeuern mischte sich mit dem Gestank von Latrinen; Küken kratzten auf Dunghaufen, auf denen auch Kinder spielten; Frauen breiteten ihre Wäsche aus und hängten sie neben provisorischen Brunnen über Dornenhecken oder über Pferdetröge zum Trocknen auf. Ich fragte mich, wie viele Goten wohl inzwischen in Thrazien sein mochten. Es hatte den Anschein, als sei diese Wagenburg bei weitem größer als alle römischen Städte der Diözese.
Im Zentrum des Lagers stand ein Haus. Es war ein römisches Haus, eine große und prächtige Villa, mit einer Vorderseite aus Säulen, einem Ziegeldach und einem Badehaus. Als wir dort angekommen waren, stieg Walimir vom Pferd und bedeutete mir, das gleiche zu tun. Vor dem Haus standen in Bärenfelle gehüllte Wachen mit erbeuteten römischen Waffen. Zwei von ihnen traten auf uns zu und fragten Walimir, was er wolle.
»Wir haben einen Ausfall gemacht und sind gerade zurückgekommen«, verkündete dieser. »Ich habe eine Menge Beutegut und einen Haufen Gefangene gemacht; bei Salices habe ich viele Römer getötet und den berühmten Arzt und Zauberer Chariton gefangengenommen. Ich bringe ihn König Frithigern.«
Die Wachen sahen Walimir respektvoll an, mir warfen sie neugierige Blicke zu. Wir wurden in die Halle der Villa eingelassen, und einer der Wachsoldaten ging, um uns Frithigern zu melden. Er kam zurück und beglückwünschte Walimir im Namen Frithigerns, bat ihn jedoch, einen Augenblick zu warten, da der König noch einige Geschäfte zu erledigen habe. Wir warteten. Nach etwa einer halben Stunde betrat noch jemand den Warteraum, ein hochgewachsener Gote in einem hermelinbesetzten Umhang, und plötzlich erkannte ich in ihm meinen früheren Assistenten Edico.
»Chariton, mein lieber Meister!« rief er aus, sah mich strahlend an und trat auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln. »Ich bin überaus glücklich, dich heil und gesund zu sehen, und dann auch noch hier, bei meinem eigenen Volk!«
Ich zog meine Hand zurück. Sicherlich, ich freute mich, Edico wiederzusehen – es war schön, überhaupt ein vertrautes Gesicht zu erblicken. Und es war wunderbar, endlich wieder einmal jemanden griechisch sprechen zu hören – aber ich ärgerte mich.
»Ich bin nicht freiwillig hier«, erwiderte ich ungehalten.
Das Lächeln verschwand sofort. »Ja, man hat mir berichtet, daß du gefangengenommen worden bist. Aber mach dir
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