Der Leuchtturm von Alexandria
Licht fiel schräg durch die Fensterläden und warf ein goldenes Gitter auf das Fußende des Bettes. Mein Kopf und mein Magen taten mir immer noch weh, und ich fühlte mich äußerst schwach, aber ich wußte, daß mein Fieber gesunken war und daß ich am Leben bleiben würde. Ich lag auf der Seite und starrte auf die Stelle, an der Athanasios gestanden hatte. Einen Augenblick später öffnete sich die Tür und Edico und Amalberga kamen herein.
»Sie ist wach!« rief Edico aufgeregt. Er eilte an mein Bett, prüfte meinen Puls und fühlte meine Stirn.
»Das Fieber ist gesunken«, sagte ich zu ihm. »Hast du ihn gesehen?«
Edico sah mich verständnislos an. »Wen?«
Ich seufzte und legte eine Hand über die Augen; die Hand fühlte sich sehr schwer an, und meine Augen taten mir weh. Es bedeutete eine zu große Anstrengung, zu entscheiden, ob ich eine Vision, einen Besuch oder einen Traum gehabt hatte. Aber es war ein Trost gewesen. Ob er nun dagewesen war oder nicht, ich war froh, jemanden aus den glücklichen alten Tagen in Alexandria gesehen zu haben.
»Möchtest du etwas zu trinken?« fragte Edico eifrig. »Vielleicht etwas klare Brühe?«
Ich sah zuerst ihn an, dann Amalberga. »Darf ich Römer behandeln, falls ich mich erhole?« fragte ich sie.
Sie wurde blaß und setzte sich auf die Kante meines Bettes.
»Wenn wir doch nur alle tun könnten, was wir wollten!« sagte sie plötzlich und rang die Hände. »Ich schwöre, daß ich die Römer niemals gehaßt habe, nicht einmal, nachdem sie uns so übel mitgespielt hatten. Und trotzdem sind sie unsere Feinde, und die Hunnen, die ich gehaßt habe, sind unsere Verbündeten, und wir sind an diesen Krieg gefesselt wie ein Sklave an die Folterbank!«
»Ich habe die Goten niemals gehaßt«, erwiderte ich mit schwacher Stimme. »Aber jetzt wünsche ich, ich wäre weit fort von hier. Ich würde lieber sterben, als so weiterzumachen wie bisher.« Und mir wurde klar, daß ich gerne mit Athanaric verheiratet gewesen wäre und ein Privathospital geleitet hätte. Es war das erstemal, daß ich derartige Gedanken so klar und präzise faßte, und ich war so überrascht, daß ich vergaß, was ich eigentlich sagen wollte.
»Ich kann dich nicht fortlassen«, sagte Amalberga betrübt.
»Der Krieg nimmt einen schlechten Verlauf, und es könnte sein, daß wir…« sie hielt inne und sah mich unglücklich an. Die Goten könnten dazu gezwungen sein, mich zu verkaufen, um sich selbst zu retten, hatte sie wohl sagen wollen. Und selbst wenn sie es nicht taten, konnte ich mir von ihnen auf keinen Fall die Freiheit erhoffen. Frithigern war stolz auf eine so berühmte Gefangene, und außerdem war ich als Ärztin immer noch sehr nützlich. »Es tut mir leid«, fuhr Amalberga nach einer kurzen Pause fort. »Ich will nicht, daß wir Feinde sind. Ich werde darum bitten, daß man dir erlaubt, Römer zu behandeln. Und ich kann weitere Freier von dir fernhalten – sie müssen jetzt sowieso alle in den Süden. Aber mehr kann ich nicht für dich tun.«
»Wenn du mich etwas für mein eigenes Volk tun läßt, dann genügt das«, entgegnete ich. »Ja, ich hätte gerne etwas klare Brühe. Und vielleicht ein wenig mit Honig gesüßten Wein.«
Es dauerte noch ein paar Wochen, ehe es mir gut genug ging, um Patienten zu behandeln, und als ich wieder auf den Beinen war, schien sich niemand so furchtbar für mich zu interessieren: Es gab zuviel anderes, worüber man sich Sorgen machen mußte. Frithigern war mit fast allen Soldaten in den Süden gezogen und hatte Carragines unter leichter Bewachung und der Befehlsgewalt von Amalberga zurückgelassen. Edico und die meisten der Pfleger des Hospitals waren mit ihm gezogen. Inoffiziell war mir zusammen mit ein paar Hebammen und weisen Frauen die Verantwortung für die Gesundheit der Lagerbewohner übertragen worden. Mir wurde zwar nicht wirklich vertraut, und ich stand nach wie vor unter dauernder Bewachung, aber im Grunde genommen gab es sonst niemanden, dem man die Verantwortung hätte aufbürden können.
Kaiser Augustus Valens hatte einen Friedensvertrag mit Persien abgeschlossen, und es hieß, er eile nach Konstantinopel und sammle unterwegs Soldaten um sich. Man erzählte sich, der Augustus des Westreichs, Gratianus, habe die Alemannen in Gallien besiegt und ziehe mit den gallischen Legionen ostwärts, bereit, die Goten anzugreifen. Die bereits in Thrazien stationierten Truppen hatten einen neuen Befehlshaber: Sebastianus’ Vater, den früheren
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