Der Leuchtturm von Alexandria
gebrochen. Der Arzt im Süden hat ihn geschient. Aber inzwischen ist er infiziert.«
Ich nahm ihm den Verband sorgfältig ab. Der Arm war zu meiner Erleichterung vollkommen gesund und unverletzt, aber unter dem Verband steckte ein Zettel. Ich zögerte, dann ließ ich ihn in meiner Hand verschwinden, sah auf und runzelte die Stirn, und er sagte immer noch in dem gleichen mürrischen Tonfall:
»Nun?«
»Sieht schlimm aus«, sagte ich. »Du solltest keinen Talisman in die Wunde stecken, aber du hast Glück gehabt; der Arm muß nicht ausgebrannt werden.«
Die Hebamme kam mit der Reinigungslösung zurück, und ich befahl ihr, sich um einen der anderen Patienten, ein krankes Kind, zu kümmern. Ich tat so, als säuberte ich den Arm, und legte einen neuen Verband an. Ich sagte Athanaric, er solle warten, bis ich ein anderes Heilkraut geholt hätte, und ging in den Arzneimittelraum. Zum Glück war er leer. Ich entfaltete den Zettel und las: »Behandle mich und schicke mich fort. Dann geh sobald wie möglich zur Mauer hinter dem Hospital.«
Ich fürchtete, vor lauter Erregung und dem plötzlichen Aufkeimen von Hoffnung ohnmächtig zu werden. Dann zerriß ich den Zettel, aß die Fetzen auf und ging in das Untersuchungszimmer zurück. Ich mußte umkehren und das Heilkraut holen, dessentwegen ich angeblich fortgegangen war. Ich gab es Athanaric und sagte ihm, er solle nach Hause zu seiner Familie gehen, sich ausruhen und am nächsten Morgen wiederkommen, damit die Wunde gereinigt und neu verbunden werden könne. Er machte sich davon.
Erst am späten Nachmittag fand ich eine Gelegenheit, meinen Bewachern zu entkommen. Es war das erstemal seit Monaten, daß ich allein war, und meine Gedanken wirbelten mir im Kopf herum wie ein Trupp Reiter in vollem Galopp: Athanaric, Flucht, Freiheit, Erlösung von allen Qualen, die große weite Welt. Ich blieb auf dem Weg ins Freie stehen und sah auf in den unermeßlichen Himmel, der mit einem feuchten Dunstschleier überzogen war, und ich glaubte, in ihn hineinfliegen zu können, direkt bis zur Sonne hinauf. Ich war dabei, meine Patienten aufzugeben und wahrscheinlich auch meine Laufbahn, aber das war mir inzwischen egal. Ich hatte den Tod satt. Ich wollte leben. Frei sein.
Das Hospital stieß direkt an den Lagerwall und lag ein wenig abseits von den anderen Wagen und Unterkünften, um die ansteckenden Kranken isoliert zu halten. Ich ging schnurstracks auf seine Rückseite und versuchte, einen selbstsicheren Eindruck zu machen, so als habe ich dort etwas zu erledigen. Als ich den Palisadenzaun fast erreicht hatte, hörte ich zu meiner Rechten einen leisen Pfiff. Ich blickte mich suchend um und entdeckte Athanaric, der unter einem der Wagen wartete. Ich rannte zu ihm, als hätten meine Füße Flügel.
Athanaric verschwendete keine Zeit mit irgendwelchen Begrüßungen oder Erklärungen. Er ergriff mich am Arm, zerrte mich unter den Wagen und stieß mich in Richtung auf den Palisadenzaun. Jemand hatte ein Loch unter ihm hindurchgegraben. Ich bückte mich, schlüpfte hindurch und Athanaric folgte mir. Er deutete mit einer Kopfbewegung auf eine Ansammlung von Bäumen ein wenig weiter weg, und wir rannten in die bezeichnete Richtung.
»Ein Wachsoldat kommt etwa alle zehn Minuten vorbei«, erklärte Athanaric, als wir die Bäume erreicht hatten. »Er ist gerade verschwunden. Wir warten, bis er wieder auftaucht und von neuem verschwindet. Dann machen wir uns davon. Ich habe ein paar Pferde besorgt, die etwa drei Meilen von hier warten; kannst du soweit laufen?«
»Natürlich.« Ich setzte mich, lehnte meinen Kopf an einen Baumstamm und blickte auf die Wälle der Wagenstadt.
»Du siehst nicht gut aus.« Er beugte sich über mich und sah besorgt aus. »Ich war krank«, erzählte ich ihm, »und es kommt alles sehr plötzlich. Aber drei Meilen kann ich laufen. Gütiger Gott, ich wäre bereit, sie zu kriechen. Danke. Ich finde einfach keine Worte. Danke.«
Er berührte mich an der Schulter, runzelte die Stirn, dann, als der Wachsoldat in Sicht kam und langsam mit geschulterter Lanze an der Außenseite des Walles entlangging, kniete er sich neben mich. Der Soldat blieb stehen, nahm seine Lanze herunter und stieß sie müßig in ein Kaninchenloch, dann zuckte er die Achseln und ging weiter. Athanaric berührte mich erneut an der Schulter, und wir schlüpften aus dem Gehölz und liefen mit kräftig ausholenden Schritten über das offene Feld und schnell weiter durch Gräben, über andere Felder und
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