Der Leuchtturm von Alexandria
wirklich neugierig war, wann und wodurch er mein Geheimnis erraten hatte.
Athanaric schnaubte verächtlich. »Viel zu spät«, erwiderte er.
»Schließlich erwartet man von mir, daß mir solche Dinge auffallen; das gehört zu meinen Aufgaben. Aber ich habe nicht entdeckt, was ein siebzigjähriger alter Geistlicher sofort bemerkt hatte. Als es mir klar wurde, habe ich mich gründlich geschämt.«
»Athanasios behauptete, Gott habe es ihm offenbart«, sagte ich. »Und er war der einzige, der jemals etwas vermutet hat. Die Menschen glauben, was man ihnen erzählt – vor allem, wenn das Gegenteil davon noch unglaubwürdiger ist als die Geschichte selbst.«
Athanaric schnaubte noch einmal, dann lächelte er entschuldigend. »Genau: Die Vorstellung war ganz einfach zu verrückt. Aber ich hätte etwas vermuten müssen. Ich wußte eine ganze Menge von dir – ich habe mich in Ägypten nach dir umgehört, nachdem wir uns das erstemal begegnet sind. Ich fragte den Chefarzt des Museums über dich aus. Er sagte, du seiest eines Morgens im Frühjahr ziemlich plötzlich aufgetaucht, praktisch ohne Empfehlungen und ohne Geld, hättest behauptet, zum Haushalt eines gewissen Theodoros von Ephesus zu gehören und hättest förmlich darum gebettelt, daß er dir die Heilkunst des Hippokrates beibringt. Er sagte, er habe nicht gedacht, daß ein Eunuch die harte Arbeit, die mit dem Studium der Medizin verbunden ist, durchstehen könnte. Er habe geglaubt, du seiest vielleicht ein fortgelaufener Sklave, und habe dich abgewiesen. Er sagte, Philon habe dich nur aus Barmherzigkeit aufgenommen, aber du hättest dich hervorragend gemacht und seiest äußerst begabt. Als ich in ihn drang, gab er zu, nach wie vor zu glauben, daß du ein fortgelaufener Sklave bist. Ein paar andere vermuteten übrigens das gleiche. Aber ich stimmte mit ihnen überein, es sei besser, wenn ein Eunuch Kranke behandelt, als im Haus eines reichen Mannes Bestechungsgelder einzustreichen. Und so ließ ich die Sache auf sich beruhen.
Die Geschichte von Festinus, der inmitten seiner Hochzeitsvorbereitungen sitzengelassen worden war, kannte ich bereits – sie erregte ziemliches Aufsehen in Asien –, und als sowohl dein Bruder als auch Festinus in Thrazien residierten, ging ich der Sache noch einmal nach, weil ich der Meinung war, eine derartige Privatfehde könne womöglich Probleme aufwerfen. Und ich erfuhr, die Schwester des vortrefflichen Theodoros sei eines Morgens im Frühjahr ganz einfach verschwunden, spurlos verschwunden. Damals fragte ich mich, ob du vielleicht etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hättest und in aller Eile nach Alexandria gegangen seiest, um dich vor Festinus zu verstecken aber die Wahrheit habe ich nicht vermutet. Du behauptetest, ein Eunuch zu sein, und alle Welt glaubte es; ich hab zu keinem Zeitpunkt daran gezweifelt. Doch ich hätte es merken müssen, daß du keiner bist. Ich glaube, in meinem Herzen habe ich es gemerkt, aber was mein Herz sah, wies mein Verstand ganz schnell von sich. Wahrscheinlich warf ich mir sogar vor, etwas Derartiges von einem anderen Mann zu denken.
Und dann wurdest du der Zauberei angeklagt. Deine eigenen Sklaven dachten, du wärest ein Zauberer, und einer ihrer Gründe dafür war, daß du immer allein gebadet und dich ohne Hilfe angekleidet hast. Aber ich dachte mir nichts dabei. Eunuchen haben ihre Gründe, zurückhaltend zu sein. Und dann behandelte dich der Statthalter von Skythien wie ein Bruder. Nun schön, überlegte ich, es ist ja der Theodoros, den du von früher her kanntest, vielleicht schuldet er dir großen Dank. Ein oder zweimal sagte er ›sie‹, als er von dir sprach – ein Versprecher oder ein kleiner Scherz? Sicher, all das verwirrte mich, aber ich brachte Chariton den Arzt immer noch nicht mit Theodoros’ Schwester zusammen – außerdem hatte ich deinen Namen noch nie gehört; die Leute erwähnen den Namen einer jungen Edelfrau nicht.
Und dann jener Abend in Marcianopolis – Festinus brütete immer noch über der ihm zugefügten Kränkung und trug sie Theodoros nach, aber er hat dich nicht erkannt! Du allerdings hattest Angst vor ihm. Ich hegte immer noch keinen Verdacht, jedenfalls nicht bewußt, doch ich fühlte immer stärker, daß ich etwas wußte, was mir nur noch nicht klargeworden war. Und du zitiertest ein paar Verse, von denen du sagtest, Festinus hätte sie einst zitiert, aber du hast sie falsch zitiert und ›Charis‹ gesagt, wo es im Gedicht ›Chloe‹ heißt. Die
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