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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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Halcyon segeln sollte, mußte Thorion meine Reisekiste zum Schiff hinunterbringen und an Bord schaffen lassen. Er hatte sie außerhalb der Stadtmauer in einer Höhle am Berg Pion versteckt, und es war keine große Angelegenheit, sie auf einen Esel zu laden, in die Stadt zu bringen und dann einen Träger zu besorgen, der sie auf das Schiff beförderte. Meine Bücher hatte ich bereits in ihr verstaut. Ich mußte also nur noch die Kleidung wechseln – und den Schmuck meiner Mutter verstecken. Dieser war mein Eigentum, und ich hatte vor, ihn zu verkaufen, um während meines Studiums meinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten. Aber das wollte ich erst in Alexandria tun, wo niemand die Edelsteine erkennen würde.
    In jener Nacht hatte ich große Angst, daß etwas passieren könnte: daß Festinus erschiene und verlange, mich auf der Stelle zu heiraten; daß das Schiff in einem Sturm sinke; daß Vater anordne, ich habe am nächsten Tag dort oder dort zu sein. Ich konnte nicht schlafen und lag die ganze Zeit da und starrte das Mondlicht auf der Wand meines Zimmers an, und es wurde mir bewußt, daß ich dieses Zimmer vielleicht nie wiedersehen würde. Als das Mondlicht auf Maias Bett fiel, sah ich, daß sie ebenfalls wach lag und zu mir herüberblickte, und so stand ich auf und kletterte in ihr Bett. »Ich werde dich so sehr vermissen, Maia«, flüsterte ich ihr ins Ohr, und sie umarmte mich. Nach ein paar Stunden schliefen wir beide wohl doch noch ein wenig.
    An jenem Morgen hatte ich eine Unterrichtsstunde bei Ischyras. Ich hielt es kaum aus und war so unaufmerksam, daß mein Hauslehrer mich fragte, ob ich mich auch wohl fühlte. Ich sagte, ich hätte Kopfschmerzen. Die Halcyon sollte mit der Abendflut lossegeln. Wenn ich das Haus nach dem Mittagessen verließ, würde ich nicht vor dem Abendbrot vermißt werden, und dann wäre es bereits zu spät. Doch als es soweit war und wir beim Mittagessen saßen, brachte ich kaum einen Bissen herunter. Vater war ebenfalls da, und auch er fragte mich, ob ich krank sei. Ich murmelte wieder etwas von irgendwelchen Kopfschmerzen.
    »Du siehst blaß aus, mein Liebling«, sagte Vater. »Möchtest du dich nicht etwas hinlegen? Soll ich einen Arzt rufen?«
    »Oh, nein, nein!« erwiderte ich und riß mich zusammen. Ich versuchte krampfhaft, ihn anzulächeln. »Es ist nicht so schlimm. Ich glaube, ich werde ein bißchen im Garten Spazieren gehen: Das wird mir gut tun.«
    Als ich endlich vom Eßtisch aufstehen konnte, ging ich in mein Zimmer hinauf und holte das Kästchen mit dem Schmuck meiner Mutter. Ich verstaute die einzelnen Stücke in meiner Kosmetiktasche, dann blickte ich mich um. Zum letzten Mal, dachte ich. Ich atmete einmal tief durch, dann verließ ich das Zimmer.
    Durch den ersten Innenhof, durch den blauen Innenhof, an dem Badehaus vorbei, durch den Küchengarten zu der kleinen Pforte. An den Pferdeställen vorbei und hinein in die Felder. Philoxenos und die Stallburschen striegelten einige Pferde im Hof; sie winkten mir zu, und ich winkte zurück. Auf den Feldern leuchtete das frische, feuchte Frühlingsgras: eine grüne, mit roten Mohnblumen gesprenkelte Fläche. Ich raffte meine Röcke, rannte los und blickte mich nicht mehr um. Niemand hatte mich gefragt, wo ich hinging, und niemand würde sich irgendwelche Gedanken machen, bis mein Verschwinden endlich auffallen würde.
    Thorion hatte mir erklärt, wie ich die Höhle finden konnte. Sie lag auf der nordöstlichen Seite des Hügels, in der Nähe der Stelle, an der während der Herrschaft des Kaisers Decius einige Märtyrer eingemauert worden waren. Dort gab es eine Öffnung im Felsen, und dort saß Maia und wartete auf mich. Als ich angerannt kam, stand sie auf und küßte mich, dann zog sie mich in die Höhle hinein. Sie war nicht groß – es war gerade genug Platz, um zu zweit darin zu stehen. In einer weiteren Vertiefung auf der rückwärtigen Seite hatte Thorion die Reisekiste und noch eine kleinere Kleidertruhe mit den für mich gekauften Männerkleidern versteckt.
    Anfangs hatten wir geglaubt, ich könne vielleicht ein paar von seinen Sachen anziehen, doch selbst die Kleidungsstücke, aus denen er herausgewachsen war, waren viel zu weit in den Schultern und außerdem viel zu prächtig für einen Studenten der Medizin. Deshalb hatte er auf dem Markt einige gebrauchte Sachen gekauft: zwei Tunikas aus Leinen und eine dritte aus Wolle, allesamt aus grobem Gewebe und ziemlich abgetragen – außerdem gingen sie bis unterhalb

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