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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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der Knie, waren also von schicklicher Länge. Dabei waren sie sehr einfach und wiesen keinerlei Stickereien auf. Außerdem verfügte ich noch über einen guten, wollenen Reiseumhang, einen Hut, ein Paar Sandalen und Stiefel. Das meiste davon befand sich bereits auf dem Schiff, jedoch nicht die wollene Tunika, der Umhang, der Hut und die Stiefel.
    »Zuerst einmal deine Haare«, sagte Maia, als ich mich über die Kleidertruhe hermachte. Ich setzte mich also in den schattigen Höhleneingang, und Maia holte die Scherblätter heraus. Von hier oben, vom Gipfel des Hügels aus, konnte ich meilenweit ins Land hinaussehen. Das Flußtal war eine einzige grüne Fläche, überall wuchs das junge Getreide heran, dazwischen schimmerte die rote Erde der ungepflasterten Wege. In einer Entfernung von einer Meile konnte ich weiß und golden den Tempel der Artemis leuchten sehen. Zu ihm führte das weiße Pflaster des heiligen Pfades. Ich fragte mich, ob Ägypten wohl ebenso schön wie Asien sei. Wahrscheinlich, dachte ich, war es vorwiegend auch eben. Ägypten war ja größtenteils eine Flußebene. Maias Scherblätter klapperten gleichmäßig. Die Haare rieselten meinen Rücken hinunter, und mein Kopf fühlte sich plötzlich leichter an. Lebt wohl, ihr künstlichen und ungeliebten Locken. Keine unnütze Zeit mehr, die beim Zurechtmachen der Haare sinnlos verschwendet wurde. Ich wußte, daß Maia sich davor gegraut hatte – ich hegte den Verdacht, sie weinte sogar wegen meiner langen schwarzen Locken –, doch ich versuchte, sie nicht anzusehen.
    Maia hatte einen Krug Wasser mitgebracht, und ich wusch mein Gesicht und spülte die letzten Locken aus meinen Haaren heraus. Vor einem Monat hatten wir damit aufgehört, meine Augenbrauen zu zupfen. Meine Ohrläppchen waren natürlich durchstochen, aber so etwas war nichts Ungewöhnliches für Knaben. Bei einem von den Persern freigekauften Eunuchen würde dergleichen ganz gewiß nicht auffallen. Maia hatte auch eines jener Schnürleibchen mitgebracht, das bisweilen von Frauen getragen wird, wenn sie sich irgendwohin spazierenfahren lassen oder wenn sie ganz einfach nicht zu dick aussehen wollen, und sie half mir dabei, es anzulegen. Meine Brüste waren zum Glück sowieso klein. Mit dem Schnürleibchen würden sie überhaupt nicht zu sehen sein. Ich zog die Tunika über: Es war die wollene, sie war hellblau gefärbt und schon ziemlich ausgebleicht, so daß sie fast grau aussah. Ich wollte sie um meine Taille wickeln, doch Maia schüttelte den Kopf und befestigte sie um meine Hüften, um meiner Figur einen anderen Anstrich zu verleihen. Es war ein eigenartiges Gefühl, eine kurze Tunika zu tragen und die Luft um meine Beine herumstreichen zu fühlen. Der Umhang war von guter Qualität, warm und solide, aber durchgehend blau; keinerlei Muster und kein purpurfarbener Streifen. Maia händigte ihn mir aus, und ich streifte ihn mir über den Kopf und zog ihn seitlich wie einen Schal nach vorne, wobei ich darauf acht gab, die nicht mehr vorhandenen Locken zu schonen. Nein, so ging es nicht. Maia schüttelte erneut den Kopf, nahm den Umhang ab und befestigte ihn auf meiner rechten Schulter. Dann ließ sie ihn in Falten über den Rücken und über die Brust herunterfallen: so wie Männer ihn tragen.
    Während sie mir die Stiefel zuschnürte, erschien Thorion. Er blieb vor der Höhle stehen und starrte uns an. Ich wartete, bis Maia fertig war, dann stand ich auf und trat in das Tageslicht hinaus, so daß er mich richtig sehen konnte. »Nun?« fragte ich.
    Er bedachte mich mit einem äußerst merkwürdigen Blick, dann schlang er seine Arme um meinen Hals. »Oh, Charition«, sagte er und rang nach Atem. »Ich möchte dich gar nicht fortlassen.«
    »Sehe ich nicht so aus, wie ich sollte?« fragte ich.
    Thorion schüttelte den Kopf. Ich merkte, daß er weinte. Ich fühlte mich gar nicht wohl.
    »Maia«, sagte ich. Sie weinte ebenfalls und reichte mir einen Spiegel.
    Ein mageres, langes, schmales Gesicht mit einer langen Nase und einem breiten, dünnlippigen Mund; große, intelligente Augen, die eigenartig und wie losgelöst blickten; glatte, dunkle Haare, die über die Stirn fielen. Zum erstenmal in meinem Leben sah ich in einen Spiegel und erblickte mich selbst. Nicht eine von jemand anderem angezogene Puppe, sondern mich selbst. Ich lächelte, und das Gesicht lächelte zurück. Nicht das Gesicht eines Jungen und nicht das Gesicht eines Mädchens. Leb wohl, Charis, dachte ich. Sei gegrüßt, Chariton aus

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